Geld im Mittelalter
nur wenig Zahlenmaterial verfügen, können wir deren Ausmaß nur schwer schätzen, und häufig wissen wir nicht einmal, ob es sich bei den genannten Geldbeträgen um Hartgeld oder um Buchgeld handelt.
Das so verstandene Aufblühen der Geldwirtschaft während des von Marc Bloch sogenannten zweiten Feudalzeitalters, das heißt vor allem seit dem 12. Jahrhundert, durchdrang auch die Institutionen und Praktiken des Feudalismus. Geld und Feudalismus einander entgegenzusetzen entspricht nicht der historischen Wirklichkeit. Die Geldentwicklung begleitete den Wandel des Lebens der mittelalterlichen Gesellschaft insgesamt. Obwohl das Geld in der Stadt beheimatet war, zirkulierte es auch recht weiträumig auf dem Lande. Der Aufschwung des Handels kam ihm zugute, was unter anderem erklärt, warum die Italiener, auch die in Nordeuropa tätigen, in diesem Bereich so wichtig werden konnten. Die Entwicklung des mittelalterlichen Geldgebrauchs hing außerdem mit der Einrichtung fürstlicher oder königlicher Verwaltungen zusammen, deren Bedarf an Einkünften zur Entstehung eines mehr oder weniger gelungenen Fiskalwesens mit Bargeldeinnahmen führte. Wenngleich die Präsenz von Geld im Mittelalter durch eine Vermehrung der Münzen zunahm, wurde deren Gebrauch erst spät, nämlich ab dem 14. Jahrhundert, und in begrenztem Maße durch andere Handels- und Zahlungsarten wie Wechsel oder Rentenkauf ersetzt. Zudem blieben bestimmte Formen der Thesaurierung, wiewohl diese Gewohnheit am Ende des Mittelalters anscheinend nachgelassen hatte, weiterhin erhalten, das heißt, es wurden nicht nur Edelmetallbarren gehortet, sondern auch und vor allem Staatsschätze und Goldschmiedearbeiten.
Klar ist auch, dass sich gleichzeitig mit einer gewissen sozialen und ideellen Aufwertung des Kaufmanns auch die Weiterentwicklung der Ideen und Vorgehensweisen der Kirche positiv auf die Handhabbarkeit von Geld auswirkte, einer Kirche, die ganz offensichtlich den Menschen im Mittelalter helfen wollte, ihre Geldbörse und ihr Leben, also weltlichen Reichtum und ewiges Heil, zugleich zu sichern. Weil ein Bereich wie die Wirtschaft trotz seiner fehlenden Spezifität unabhängig davon existiert, ob Kleriker und Laien sich dessen bewusst oder vielmehr nicht bewusst sind, neige ich dazu, den Geldgebrauch im Mittelalter in eine Ökonomie der Gabe einzuschreiben, weil das Geld ebenso wie alle übrigen menschlichen Angelegenheiten der Gnade Gottes anvertraut ist. Hierbei scheinen zwei Vorstellungen den mittelalterlichen Geldgebrauch in der weltlichen Praxis bestimmt zu haben: das Streben nach Gerechtigkeit, wie es insbesondere in der Theorie des gerechten Preises ersichtlich wird, und ein spiritueller Anspruch, der in der caritas zum Ausdruck kommt.
Zweifellos ging die Kirche im Laufe des Mittelalters so weit, die Geldnutzer unter bestimmten Bedingungen zu entschuldigen, und Reichtum, insbesondere monetärer Reichtum, wurde am Ende des 14. und während des 15. Jahrhunderts durch eine kleine Elite der »Vorhumanisten« wieder zu Ehren gebracht. Und dennoch blieb Geld das gesamte Mittelalter hindurch suspekt, auch ohne Verdammung und Höllenandrohung. Schließlich erschien es mir zwingend notwendig, klarzustellen, wie dies mehrere bedeutende Historiker schon vor mir getan haben, dass der Kapitalismus nicht im Mittelalter entstanden ist, ja, dass das Mittelalter noch nicht einmal eine vorkapitalistische Epoche gewesen ist: Die Edelmetallknappheit und die Zersplitterung der Märkte ließen das nicht zu. Die »große Revolution« ereignete sich erst im 16. und im 18. Jahrhundert, Paolo Prodi hat sie zu Unrecht ins Mittelalter verlegt, wie ich zu beweisen versucht habe. 126 Im Mittelalter konnten weder Geld noch wirtschaftliche Macht sich aus dem allumfassenden Wertesystem christlicher Religion und Gesellschaft lösen. Die Kreativität des Mittelalters offenbart sich in ganz anderen Bereichen.
Bibliographie
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Bailly-Maître, Marie-Christine: L’Argent. Du minerai au pouvoir dans la France médiévale, Paris 2002
Baschet, Jérôme: La Civilisation féodale. De l’an mil à la colonisation de
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