Gelegenheit macht Diebe - Nicht alles, was schwul ist, glänzt (German Edition)
Zuschauern machte sich al lmählich ein dumpfes Murren breit und noch immer hatte ich nicht geantwortet.
„Sie sind Julian Sivers, geboren am 18. Mai 1983 und wohnhaft in Diblingen, ist das korrekt?“, las der Fr agende von seinen Zetteln ab.
Wieder bekam er keine Antwort von mir. Bereits jetzt erntete ich ernste und gener vte Blicke. Nur wenige schauten mich verständnisvoll an und hatten Mitleid mit mir, weil ich da vorne sitzen und diese Situation durchstehen musste.
Marco schaute sich flüchtig um und schließlich fr agend zu mir. Sogar er wunderte sich darüber, dass ich nichts sagte.
„Sind Sie Julian Sivers? “, wiederholte der Mann erneut.
„Ja“, antwortete ich endlich.
Das Murren verwandelte sich in ein erleichtertes und amüsiertes Getuschel, das von der Richterin durch ein deutliches „Ruhe bitte!“ unterbrochen wurde.
„Schön , der Herr kann ja doch reden“, merkte der Mann mit einem gewissen Unverständnis in der Stimme an, ohne den Blick von seinen Blättern zu wenden.
Schon aus den Augenwinkeln erkannte ich die Emp örung über diese Aussage von dem Typen in Marcos Gesicht. Und da war er wieder, dieser böse Blick, den ich so oft hatte ertragen müssen ... oder? Nee, das hier war doch anders. Wenn ich ihn getroffen hatte, hatte er mehr genervt als wütend gewirkt, aber das hier, das war blanke Empörung, und die ging nicht gegen mich, sondern für mich ... also, gegen den anderen Typen. Irgendwie war das süß. Er hatte zwar nichts gesagt, aber dass ihn das so gestört hatte, in was für einem Ton man dort mit mir geredet hatte, machte mir richtige Gänsehaut. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gedacht, er hätte Sympathie für mich empfunden.
Wie auch immer, der Herr vor mir wartete nach wie vor auf eine Antwort, mit der ich mich dazu bereite rklärte, mich als Opfer zu präsentieren. Und noch immer wusste ich nicht, wie ich das am ungeschicktesten hätte anstellen können. Immerhin schien mir ja nun noch die andere Möglichkeit offen.
Das Schweigen wurde erneut unterbrochen. „Herr S ivers, sind Sie dazu bereit, dem Gericht die Tat zu schildern, in der Sie in Konfrontation mit dem Angeklagten traten?“
Was sollte ich nur tun? Weiterhin gar nichts zu s agen, war sicher das Falscheste, was ich tun könnte, aber ich schaffte es einfach nicht, mich zu überwinden. In meinem Kopf liefen tausend Gedanken wirr umher und knallten ständig gegeneinander. Allerdings waren diese Gedanken alle auf ein und dieselbe Sache ausgelegt, somit musste ich mich schon mal nicht mehr für eine Richtung entscheiden. Jetzt hieß es nur noch Augen zu und durch.
In meinen Gedanken hörte ich Andrea, die mir sagte, ich solle es einfach machen ... einfach dem Adrenalin trotzen und geradeaus durch die Wand laufen, die ich mir in den letzten Minuten selbst aufgebaut hatte. Also hielt ich meinen Kopf in Schussposition und stürmte durch diese Mauer.
„Nein!“, haute ich mit zugekniffenen Augen endlich raus. Ein unterschwelliges lautes Einatmen durc hströmte den gesamten Saal. Als ich die Augen kurz darauf zögerlich wieder öffnete, erhob sich ein anderer der Anwälte und schaute mich irritiert an.
Der, der immer noch in meiner Nähe stand, winkte ihn mit einer Handbewegung ab und schaute mich fragend an. „Wie darf ich Ihr Nein verstehen?“
„Ich möchte dazu nichts sagen.“ Es fiel mir auf einmal überr aschend leicht, darauf zu antworten.
„Sie möchten nichts dazu sagen, warum Sie gerade Nein g esagt haben?“
„Nein, ich möchte nichts dazu sagen, was pa ssiert sein soll.“
Wieder herrschte großes Getuschel im Raum und wieder musste die Richterin um Ruhe bitten. Diesmal benutzte sie dafür diesen coolen Hammer, den Ric hter immer haben. Der Knall auf dieser kleinen runden Holzscheibe, auf die der Hammer geschlagen wird, war aber um Einiges lauter, als man sich das vorstellt. Alle zuckten einmal zusammen und waren wieder still.
„Ist es nicht so, dass der Angeklagte Sie während I hres Besuches im Gefängnis am 21.5. zu sich rüber zog und Sie würgte?“ Er blätterte in seinen Notizen nach.
Marco stütze mit einer Hand seine Stirn, so dass man seine Augen nicht mehr s ehen konnte. Ihm war sehr wohl bewusst, dass das, was gerade vorgelesen wurde, stimmte, genauso bewusst wie mir. Aber wollte ich es überhaupt als Verbrechen sehen? Es war ja immerhin Auslegungssache ... Er könnte mich ja auch knuddeln gewollt haben und war dabei halt etwas grob gewesen ...
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