Geliebt
sofort zu Kopf stieg. Sie sah den anderen Becher dort stehen und besann sich auf ihre guten Manieren.
»Soll ich dir auch etwas einschenken?«, fragte sie und fügte nervös hinzu: »Ich meine, ich weiß nicht, ob du überhaupt Wein trinkst …«
Er lachte.
»Doch, auch Vampire trinken Wein«, erwiderte er lächelnd, kam zu ihr herüber und hielt ihr seinen Becher hin.
Sie war überrascht. Nicht von seinen Worten, sondern von seinem Lachen. Es klang sanft, elegant und schien im Raum zu verklingen. Wie alles an ihm war auch sein Lachen rätselhaft.
Sie sah ihm in die Augen, als er sein Glas an die Lippen hob, und hoffte, er würde ihren Blick erwidern.
Er tat es.
Dann sahen beide gleichzeitig weg. Caitlins Herz schlug schneller.
Caleb kehrte an seinen Platz zurück, setzte sich ins Stroh, lehnte sich zurück und sah sie an. Er schien sie genau zu mustern, und das machte sie verlegen.
Unbewusst strich sie sich mit der Hand über ihre Kleidung und wünschte, sie trüge etwas Hübscheres. Ihre Gedanken rasten, während sie überlegte, was sie überhaupt anhatte. Irgendwo auf dem Weg – sie konnte sich nicht mehr an den Ort erinnern – hatten sie kurz Halt gemacht. Sie war in das einzige Bekleidungsgeschäft gegangen, das es gab – ein Secondhandladen der Heilsarmee –, und hatte sich andere Kleidung besorgt.
Jetzt blickte sie entsetzt an sich herunter und erkannte sich selbst kaum wieder. Sie hatte zerrissene, verwaschene Jeans an, Turnschuhe, die ihr eine Nummer zu groß waren, und ein Sweatshirt über einem T-Shirt. Darüber trug sie eine ausgeblichene, lila Jacke, an der ein Knopf fehlte und die ihr ebenfalls zu groß war. Aber die Sachen hielten warm. Und das war momentan das Wichtigste.
Trotzdem war sie verlegen. Warum musste er sie so sehen? Da lernte sie schon mal jemanden kennen, der ihr wirklich gefiel, und dann hatte sie keine Chance, sich hübsch zu machen. In dieser Hütte gab es kein Bad, und selbst wenn es eines gäbe, hätte sie keine Schminkutensilien dabei. Beschämt wich sie seinem Blick aus.
»Habe ich lange geschlafen?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht. Ich bin selbst gerade erst aufgewacht«, antwortete er und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Ich habe meinen Durst heute ziemlich früh gestillt. Das hat mich ganz aus dem Konzept gebracht.«
Sie sah ihn an.
»Erklär es mir«, forderte sie ihn auf.
Er verstand nicht, was sie meinte.
»Die Nahrungsaufnahme«, präzisierte sie. »Wie funktioniert es? Bringst du … Menschen um?«
»Nein, nie«, antwortete er.
Er schwieg eine Weile und ordnete seine Gedanken.
»Es ist kompliziert, wie alles, was mit Vampiren zu tun hat«, erklärte er. »Es hängt vom Vampirtyp ab, außerdem von der Clanzugehörigkeit. Ich ernähre mich nur von Tieren, hauptsächlich Rehen. Davon gibt es ohnehin zu viele, und die Menschen jagen sie auch – häufig essen sie sie nicht einmal.«
Sein Gesichtsausdruck wurde finster.
»Aber andere Clans sind nicht so kultiviert. Sie ernähren sich von Menschenblut. In der Regel suchen sie sich unerwünschte Menschen aus.«
»Unerwünschte?«
»Obdachlose, Herumtreiber, Prostituierte … Menschen, deren Verschwinden niemandem auffällt. So ist es immer schon gewesen. Vampire wollen keine Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Weil wir kein Menschblut trinken, betrachten wir uns – das heißt meinen Clan, den Whitetide Clan – als reinblütig und die anderen Arten als unrein. Wovon man sich ernährt … von dessen Energie wird man durchströmt.«
Caitlin saß ganz still und dachte nach.
»Wie ist es bei mir?«, fragte sie schließlich.
Er warf ihr einen Blick zu.
»Warum will ich manchmal Blut trinken, manchmal aber auch nicht?«
Er runzelte nachdenklich die Stirn.
»Ich bin mir nicht sicher. Bei dir ist es anders. Du bist ein Halbblut. Das ist sehr selten … Ich weiß aber, dass du gerade erwachsen wirst. Andere Vampire werden verwandelt, über Nacht. Bei dir ist es ein längerer Prozess. Vielleicht wird es eine Weile dauern, bis du alle Veränderungen durchlaufen und dich damit arrangiert hast.«
Caitlin lehnte sich zurück und erinnerte sich an die schmerzhaften Hungerattacken, von denen sie wie aus dem Nichts überfallen worden war. Sie war nicht mehr in der Lage gewesen, an etwas anderes zu denken – sie wollte nur noch ihren Hunger beziehungsweise Durst stillen. Das war furchtbar gewesen. Sie fürchtete sich schon vor dem nächsten Mal.
»Aber woher weiß ich, wann es wieder passieren
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