Geliebt
»versucht man automatisch, alle Menschen, die man kennenlernt, einzuordnen und herauszufinden, ob man sie schon in einem anderen Leben gekannt hat. Ich habe festgestellt, dass ich eigentlich jeden, den ich jetzt treffe, bereits in einem anderen Leben kannte. Die anderen erinnern sich nie daran, ich aber schon. Daher warte ich immer auf den Moment, in dem ich begreife, woher ich sie kenne. Irgendwann kommt dieser Moment, und dann ergibt alles einen Sinn.«
Caitlin zögerte mit der nächsten Frage, denn sie fürchtete sich vor der Antwort.
»Was ist denn … mit uns?«
Mit gerunzelter Stirn schaute Caleb ins Feuer, während Caitlin nervös auf seine Antwort wartete. Es dauerte lange, bis er weitersprach.
»Du bist die Einzige, bei der alles irgendwie im Dunkeln bleibt. Ich bin mir sicher, dass wir uns irgendwo schon mal begegnet sind – aber bisher weiß ich nicht, wann und wo das war. Irgendetwas wird vor mir zurückgehalten, und ich verstehe nicht, warum das so ist. Daher kann ich nur vermuten, dass es etwas über dich – über uns – gibt, das ich nicht erfahren soll.«
Wieder war Caitlin sprachlos. Ihre Gefühle für ihn überwältigten sie derart, dass alles, was sie sagen würde, nur falsch verstanden werden konnte.
Völlig verwirrt erhob sie sich und hob mit zitternder Hand ein Holzscheit auf, um es ins Feuer zu werfen. Aber weil sie so nervös war, glitt es ihr aus der Hand und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden.
Caitlin und Caleb erstarrten und sahen sich an. Der Aufprall des Holzscheits hatte irgendwie hohl geklungen. Die Dielenbretter – unter den Dielenbrettern musste sich ein Hohlraum befinden!
Gleichzeitig eilten die beiden zu der Stelle, an der das Stück Holz gelandet war. Als Caleb es zur Seite schob, wirbelte jahrhundertealter Staub auf und legte das blanke Holz frei. Mit den Fingerknöcheln klopfte er auf das Dielenbrett, und erneut war ein hohles Geräusch zu hören.
»Geh mal ein Stück zurück«, forderte er sie auf.
Dann hob er den Arm und schlug mit der Faust kräftig auf das Brett. Das Holz zersplitterte mit einem lauten Krachen. Nun griff er in das Loch und riss mehrere Dielen heraus.
Schließlich nahm Caitlin eine Kerze und hielt sie in den Hohlraum. Das Loch war nicht tief, sie konnten die Erde auf dem Grund erkennen. Obwohl Caitlin die Höhlung sorgfältig ausleuchtete, fanden sie zuerst nichts. Doch als sie die Kerze in eine Ecke hielt, entdeckte sie plötzlich doch etwas. »Da!«
Vorsichtig griff sie danach und zog es langsam heraus. Dann hielt sie den Gegenstand in die Höhe und befreite ihn von zentimeterdickem Staub.
Es war ein kleiner roter Beutel aus Satin, der mit einer Schnur zugebunden war. Was mochte bloß darin sein? Eine Münze? Ein Schmuckstück? Ihr Herz pochte heftig vor Aufregung, als es ihr endlich gelang, die Schnur zu lösen. Vorsichtig griff sie in den Beutel und fühlte kaltes Metall.
Verblüfft starrten beide auf den Gegenstand in ihrer Hand.
Es war ein kleiner Schlüssel.
Sie vergewisserte sich, dass sonst nichts mehr in dem Beutel steckte. Nur dieser Schlüssel.
Caleb nahm ihn ihr aus der Hand, ging dichter ans Feuer und betrachtete ihn ganz genau.
»Kannst du etwas damit anfangen?«, wollte sie wissen.
Er schüttelte den Kopf.
Nachdenklich setzten sie sich wieder ans Feuer und betrachteten den Schlüssel. Als Caitlin ihn umdrehte, fiel ihr auf einmal etwas auf. Sie befeuchtete ihre Fingerspitze und fuhr damit über das Metall. Eine feine Schmutzschicht löste sich und enthüllte eine winzige Gravur: The Vincent House .
Fragend sah Caitlin Caleb an. »Kennst du das?«
Seufzend lehnte er sich zurück und schüttelte den Kopf.
»Ich nehme an, unsere Suche ist noch nicht vorüber«, sagte er schließlich.
Seine Stimme klang enttäuscht. Offensichtlich hatte er damit gerechnet, in diesem Cottage das Schwert zu finden. Er tat ihr leid, und sie fühlte sich irgendwie schuldig, obwohl sie ebenfalls frustriert war. Anscheinend mussten sie sich auf eine noch längere Suche einstellen. Aber zumindest waren sie auf einen weiteren Hinweis gestoßen. Sie steckten nicht in einer Sackgasse, sondern hatten immerhin einen Schlüssel gefunden. Aber wozu passte er?
Bevor sie ihren Gedanken zu Ende führen konnte, krümmte sie sich plötzlich vor Schmerz zusammen. Eine extrem schmerzhafte Hungerattacke überfiel sie, schlimmer als je zuvor. Sie konnte kaum noch atmen.
Plötzlich spürte sie eine Hand auf der Schulter. »Caitlin?«
Er
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