Geliebt
Tradition, die eine Möglichkeit darstellt, bestimmte Hinweise über Generationen hinweg weiterzugeben. Wir erbauen ein Cottage aus Stein an einem abgelegenen Ort und bepflanzen es dann rundherum mit Glyzinien, Dornensträuchern und dichtem Gestrüpp. Wenn das Häuschen eine Weile sich selbst überlassen bleibt, wuchern die Pflanzen derart schnell und dicht, dass es für Menschen praktisch nicht mehr aufzuspüren ist. Auf diese Weise können eingeweihte Vampire es noch Jahrhunderte später wiederfinden.«
Erneut sah er sich um.
»Der Vorteil an diesem Wald hier besteht darin, dass er so abgeschieden ist. Das gibt mir Hoffnung.«
»Vorausgesetzt, diese Karte ist keine Fälschung«, überlegte Caitlin laut. »Möglicherweise handelt es sich ja um eine falsche Spur.«
Lächelnd sah Caleb sie an.
»Du hast einen wachen Verstand«, erwiderte er. »Aber vielleicht denkst du zu viel. Es wäre zwar möglich, aber ich glaube nicht daran. Diese Schriftrolle ist echt.«
Als sie weiter in den Wald vordrangen, nahm er sie an der Hand. Das einzige Geräusch, das zu hören war, war das Rascheln des trockenen Laubs. Die Kälte ging ihr durch Mark und Bein.
Auf einmal schlüpfte Caleb aus seinem Ledermantel und legte ihn ihr fürsorglich um die Schultern. Wieder einmal war sie verblüfft darüber, wie er ihre Gedanken lesen konnte. Seine Fürsorge rührte sie.
»Nein«, protestierte sie, »ich kann doch nicht deinen Mantel …«
»Nimm ihn ruhig, ich friere gar nicht.«
Der Mantel fühlte sich wundervoll an. Er war erstaunlich schwer, und Calebs Körperwärme hing noch darin. Caitlin liebte den Ledergeruch. Irgendwie hatte sie den Eindruck, als hätte er das Kleidungsstück schon seit Jahrhunderten getragen. Natürlich war ihr der Mantel viel zu groß, doch trotzdem schien er ihr perfekt zu passen. Außerdem hatte sie darin das Gefühl, zu Caleb zu gehören – so, als wäre sie seine Freundin. Sie liebte dieses Gefühl.
Prüfend schaute Caleb auf die Schriftrolle und wieder in den Wald. Immer noch nichts. Caitlin drehte sich langsam im Kreis und spähte mit zusammengekniffenen Augen in den dämmrigen Wald. Als ihre Augen sich angepasst hatten, glaubte sie auf einmal, etwas entdeckt zu haben.
»Caleb«, rief sie.
Als er sich zu ihr umdrehte, zeigte sie mit dem Finger in den Wald.
»Siehst du das? Ganz da hinten. Das sieht aus wie ein Dickicht, findest du nicht auch?«
Angestrengt blickte er in die angegebene Richtung, dann nahm er ihre Hand und ging mit ihr auf das Gestrüpp zu. »Schließlich haben wir nichts zu verlieren«, meinte er.
Je näher sie kamen, desto optimistischer wurde Caitlin. Das Dickicht war riesengroß und bestand aus einem Wust von undurchdringlichen Zweigen und Dornenranken. Der Gedanke an eine Mauer drängte sich auf. Als sie das Gestrüpp umrundeten, stellten sie fest, dass es um die dreißig Meter tief sein musste. Außerdem war es tatsächlich undurchdringlich. Wenn Calebs Beschreibung auf irgendetwas passte, dann war es das hier. Niemand konnte dieses Dickicht durchdringen – es sei denn, er hätte eine Machete dabei und wäre bereit, in tagelanger Arbeit einen Weg freizuschlagen. Was auch immer sich in der Mitte befinden mochte – falls dort überhaupt etwas war –, es wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit unberührt.
Genauso gut konnte es sich natürlich auch einfach um ein ganz normales Dornengestrüpp handeln, in dem sie als Ergebnis ihrer Bemühungen nichts als weitere Dornen vorfinden würden.
Langsam nickte Caleb. »Tatsächlich«, murmelte er. »Das könnte es sein.«
Nachdem er die Stelle eine Weile nachdenklich gemustert hatte, forderte er sie schließlich auf: »Geh mal bitte ein Stück zurück.«
Caitlin fragte sich, was er wohl vorhatte, folgte aber gehorsam seiner Anweisung.
Sorgfältig zog er seine Ärmel bis über die Hände hinunter, um sie zu schützen, und riss dann mit seiner unglaublichen Kraft an dem Dornengestrüpp. Es war, als würde man einer Kettensäge bei der Arbeit zusehen.
Innerhalb weniger Sekunden hatte er bereits einen schmalen Durchgang gerodet, gerade eben breit genug für eine Person. Er steckte schon tief in der Dornenhecke, als sie ihn plötzlich rufen hörte: »Hier!«
Caitlin folgte ihm auf dem schmalen Weg durch das Astwerk und holte ihn schließlich nach gut zehn Metern ein.
Über seine Schulter hinweg erhaschte sie einen Blick auf eine niedrige Steinmauer.
»Du hast es tatsächlich gefunden«, jubelte er.
Nachdem Caleb weitere Äste
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