Geliebte Betrügerin
wie ich Mrs. Godwin verstanden habe, die Haushälterin, wird er eine Zeit lang bei Lord Kerrich wohnen. Von anderen Verwandten weiß ich nichts.« Sie wusste tatsächlich nichts, fiel ihr auf. Sie hatte sich keine Gedanken um Kerrichs Familie gemacht, sondern an sich selbst gedacht und daran, wie er und sein Geld ihr nutzen konnten.
Und das war auch fair, sagte sie sich standhaft. Er kümmerte sie so viel, wie sie ihn. Doch wie es schien, hatte Beth vor, sich schon mit ihrem Schutzpatron vertraut zu machen, bevor sie ihm vorgestellt wurde.
»Ist Lord Kerrich nett?«, fragte Beth.
Diese Frage konnte Pamela ihr ohne Gewissensbisse beantworten. »Sehr nett, sofern er sich dazu entschlossen hat, nett zu sein.« Sie pochte an die Tür und nickte, als Moulton öffnete.
»Ist das das Kind?«, fragte Moulton, als Pamela Beth ins Foyer geleitete.
»Ist das Lord Kerrich?«, fragte Beth mit ehrfürchtiger stimme.
Der pedantische, prätentiöse Mann legte seine Förmlichkeit ab und flüsterte: »Nein, Miss. Ich bin der neue Butler.«
»Sie sind der Butler?« Beth begutachtete die strengen Gesichtszüge und den großartigen Anzug und tat ihre Bewunderung mit einem einzigen, ehrfürchtigen Wort kund: »Niemals!«
Pamela lächelte, zog die Hutnadeln heraus und reichte den Hut dem Diener. Beth hatte Moulton bezaubert, anderenfalls hätte er sich in die Brust geworfen.
Stattdessen betrachtete er Beths ärmliche Erscheinung mit unverhohlenem Entsetzen und sagte: »Lord Kerrich ist in seiner Bibliothek. Miss Lockhart, ich würde dringendst empfehlen, das Kind zu baden, bevor Sie es unserem Hausherrn präsentieren.«
Moulton – und mit ihm zweifelsohne der Rest der Dienerschaft – wusste also, warum ein Kind diese eleganten Sphären heimsuchte.
»Ja, sie muss ins Bad.«
»Lieber nicht«, murmelte Beth.
Pamela schenkte ihr keine Beachtung. Sie war wild entschlossen, das Mädchen nach oben zu scheuchen und schob es eiligst in die Eingangshalle.
Doch Beth blieb stolpernd stehen, als sie des Foyers gewahr wurde. Die riesige, hohe Halle blinkte nur so mit ihrem polierten Holzboden. Große handgeknüpfte Perserteppiche schimmerten in Königsblau und tiefem Rosenrot. Zwei Lakaien in goldener und blauer Livree flankierten die äußere Tür so unbewegt, als gehörten sie zum Mobiliar. Goldgerahmte Spiegel zierten die weiß getünchten Wände, reflektierten den strahlenden Kristalllüster und das Licht, das durch die Rhomben der Fensterscheiben drang. Überall erblühten frisch geschnittene Blumen. Aus der Mitte des Foyers führte eine Treppe hinauf, die sich oben in eine Galerie aufteilte, von der aus man das Kommen und Gehen im Haus überblickte.
Eine ganze Reihe von Räumlichkeiten war vom Foyer aus erreichbar. Beth wagte sich langsam weiter, lugte in den Vormittagssalon, den Frühstücksraum und die Bibliothek und keuchte hörbar. Pamela folgte ihr und betrachtete fasziniert das staunende Kind. Ihr war, als sehe sie Beth zu, wie sie am Weihnachtsmorgen mit großen Augen und vor Ehrfurcht zitternd das erste Geschenk auspackte. Was Pamela in ihrer Entscheidung, das Kind zu behalten, nur noch bestärkte.
Beth spähte in Lord Kerrichs Bibliothek und versteckte sich schnell hinter Pamela. Ein Herr, dessen breitschultrige Silhouette sich im schwindenden Licht abzeichnete, kam auf sie zu.
»Ist das das Kind, Miss Lockhart?«
Beth klammerte sich an Pamelas Rock fest.
Im Angesicht des selbstgefälligen Hausherrn verwandelte sich Pamela mühelos wieder in die strenge Miss Lockhart. »Das ist in der Tat das Kind, Mylord.«
»Bringen Sie es herein.« Mit dem Selbstbewusstsein des Mannes, dem keiner etwas abschlug, wandte Kerrich ihr den Rücken zu und tauchte wieder in sein Refugium ab.
Beth hinter sich herziehend, trat Pamela unter die Tür. »Dem Kind wäre besser gedient, wenn es zuerst baden und sich umziehen dürfte.«
»Nein.«
Die schroffe Weigerung spornte Pamela nur zusätzlich an. »Also gut.« Sie nahm Beth bei der Hand und zog sie sacht herein.
Kerrich hatte halb auf dem Schreibtisch sitzend Position bezogen, langbeinig, würdevoll und genauso attraktiv wie gestern, als er es darauf angelegt hatte, ihr zu gefallen. Zuerst betrachtete er Pamela, dann wanderte sein Blick zu Beth. Er schaute genauer hin, ließ das elegante Herumgelümmel sein und richtete sich auf. »Miss Lockhart, das da ist ein Mädchen«, sagte er mit zornig enttäuschter Stimme.
»Sehr scharf beobachtet, Mylord«, stimmte Pamela ihm zu. Himmel, sie
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