Geliebte Betrügerin
kurze, dicke Kerzen; alle aus Wachs, alle strahlend hell. Kerrich blieb unvermittelt stehen, um sich nach Pamela umzudrehen. Sie wäre fast auf ihn geprallt, was Pamela aufgebracht, wie Kerrich war – für riskant gehalten hätte. Hätte Kerrich sich genötigt gesehen, seinen Arm fest um ihre Taille zu legen, damit sie nicht stürzte, ihrer beider mühsam aufgebaute Feindseligkeit hätte sich vielleicht aufgelöst in … in … In was, hätte Pamela nicht sagen können, aber jedenfalls in etwas recht Peinliches. Küsse, zum Beispiel.
Er starrte sie an, studierte ihr nacktes Gesicht. »So können Sie also auch aussehen …« Seine Stimme verlor sich, als mache der Zorn ihn sprachlos.
»Mylord, ich bezweifle, dass ich momentan gut aussehe.«
Er ragte dunkel und bedrohlich über ihr auf. »Wenn man bedenkt, wie Sie zuvor ausgesehen haben …«
Sie hätte besorgt sein müssen. Doch sie war streitlustig. Was sie ihn auch gleich spüren ließ. »Sie haben das Ganze verschuldet, nicht ich.«
Moulton pfiff durch die Zähne.
Kerrich rührte sich nicht vom Fleck. »Sie wagen es …«
Pamela richtete sich kerzengerade auf, bedachte ihn mit ihrem unerbittlichsten Miss-Lockhart-Blick – und musste feststellen, dass er nicht mehr wirkte.
»Beth, geh nach oben und such dir dein Kindermädchen. Wie hieß sie noch?«, kommandierte Kerrich ungerührt.
»Corliss«, sagte Pamela.
»Ja, Sir.« Beth knickste.
Pamela drehte sich gerade noch rechtzeitig um, Beth die Stufen hinaufhüpfen zu sehen. Dass ein wütender Lord Kerrich ihre Gouvernante davonzerrte, schien sie nicht im Geringsten zu stören. »Zieh sofort deine nassen Sachen aus, sonst holst du dir noch eine Lungenentzündung«, rief Pamela ihr nach.
Beth lächelte und winkte ihr zu.
Beths unerschütterlich gute Laune wurde Pamela langsam suspekt.
Kerrich zerrte sie zur Bibliothek, und keine Macht der Welt hätte ihn daran hindern können.
Außer seinem Großvater.
Lord Reynard kam aus der Bibliothek, stützte sich auf seinen Stock und begriff die Situation sofort. »Ach du lieber Himmel, Kinder, was seht ihr gut aus!« Er streckte Pamela die Arme entgegen und sagte: »Sie sind genauso bezaubernd, wie ich Sie in Erinnerung hatte.«
»Danke«, sagte sie matt.
Wie lange wusste Lord Reynard schon Bescheid?
Kerrich schoss herum. »Wo haben Sie einander getroffen?«
»Bei einem meiner Besuche im Kensington-Palast, Sohn.«
»Wirklich?« Kerrich schaute sie an, als versuche er sie einzuordnen.
Bitte nicht, er durfte sich nicht erinnern.
Lord Reynard klopfte ihr auf die Schulter. »Gehen Sie rein, und lassen Sie sich von meinem Enkel ausschimpfen. Und legen Sie sich nicht zu sehr mit ihm an, jedenfalls nicht im Augenblick.«
Vielleicht war das ja die Gelegenheit zur Flucht. »Ich sollte erst einmal gehen und mich umziehen.«
Kerrich schnappte sofort nach ihr und erwischte sie erneut am Handgelenk. »Nein«, knurrte er.
Lord Reynard lächelte erfreut. »So ist es Recht, junge. Bleib schön bei ihr.« Er hoppelte davon.
Kerrich schob sie über die Schwelle der Bibliothek und geiferte dann: »Raus hier!«
Einen wundersamen Augenblick lang glaubte Pamela, er habe sie gemeint. Aber dann hörte sie einen Stuhl knarren und sah Lewis, die Schreibfeder in der Hand erstarrt, über den Schriftstücken an Kerrichs Schreibtisch sitzen, ungläubiges Entsetzen im Blick. »Devon, wer ist diese Lady?«, fragte er.
»Wer, meinst du, wird sie wohl sein?«, fragte Kerrich zurück.
»Sie sieht aus wie … es handelt sich, wie es scheint …«
»In Gottes Namen, sag es doch endlich. Das ist Miss Lockhart!«
»Du meine Güte!« Lewis erhob sich und schob den Stuhl so heftig zurück, dass er gegen die Wand schlug. »Oh, du meine Güte!«
»Ja, mein Waisenjunge ist ein Mädchen, und meine hässliche, alte Gouvernante ist eine junge Schönheit. So, wie es aussieht, ist hier jeder ein Betrüger.« Kerrich gestikulierte wild in Lewis Richtung. »Hast
du
vielleicht irgendein Geheimnis, das du preisgeben möchtest? Ich wäre durchaus milde gestimmt. Weil nämlich Miss Lockhart diejenige ist, die meinen Zorn abbekommen wird.«
Lewis schob die Unterlagen zu einem Stapel zusammen und murmelte: »Ich verschwinde. Ich arbeite anderswo weiter.« Er schlängelte sich um den Schreibtisch herum. »Ich … äh …« Er schaute Pamela mitleidig an. »Viel Glück, Miss Lockhart.«
Als er zur Tür hinaus war, murmelte Kerrich: »Verdammter Idiot.« Dann trat er mit dem Fuß die Tür zu.
Pamela
Weitere Kostenlose Bücher