Geliebte der Finsternis
Notruf an Wulf gepiepst.
Doch wie Chris schon angedeutet hatte, freuten sich die Panther nicht besonders, wenn sich die Dark Hunter zu lange in ihrem Etablissement aufhielten.
Wulf zog die Waffen aus seinen Taschen und legte sie in einen Wandschrank. »Nein«, beantwortete er Chris’ Frage. »Ich dachte nur, die Daimons würden etwas tapferer kämpfen.«
»Tut mir leid«, sagte Chris mitfühlend.
»Mir auch.«
Chris unterbrach seine Arbeit, seine Miene verriet Wulf, dass der Knappe seine Hänseleien beendet hatte. Nun würde der Junge versuchen, ihn aufzuheitern. »Willst du trainieren?«
»Warum sollte ich mir die Mühe machen?« Wulf betrachtete seinen Waffenschrank. »Seit fast hundert Jahren habe ich keinen anständigen Kampf erlebt.« Angewidert strich er über seine Augen, weil sie im grellen Licht schmerzten, das Chris eingeschaltet hatte. »Jetzt werde ich Talon beleidigen.«
»He, alter Junge!«
Wulf drehte sich zu Chris um.
»Bevor du gehst, sag ›Barbecue‹!«
Stöhnend schüttelte Wulf den Kopf. Das war normalerweise Chris’ letzter Versuch, ihn aufzumuntern. Mit diesem traditionellen Scherz ärgerte ihn der Junge, seit er ein kleines Kind gewesen war. Es hing mit dem altnorwegischen Akzent zusammen, an dem der Wikinger immer noch festhielt. Der war besonders deutlich, wenn er gewisse Wörter aussprach, zum Beispiel »Barbecue«.
»Hör mal, du kleine Rotznase, das ist nicht komisch.«
»Ja, ja, schon gut. Ziehen wir lieber die Schweden-Koch-Nummer ab.«
»Niemals hätte ich dir erlauben dürfen, die ›Muppets‹ zu sehen.« Genauer gesagt hätte er niemals den schwedischen Koch spielen sollen, als Chris noch ein Kind gewesen war. Damit hatte er dem Jungen eine Gelegenheit mehr gegeben, ihn zu nerven.
Trotzdem - sie waren eine Familie, und Chris bemühte sich wenigstens, ihn aufzumuntern. Nicht, dass es funktioniert hätte.
Chris gab einen vulgären Laut von sich. »Okay, du alter klappriger Wikinger-Brummbär. Meine Mutter will dich übrigens treffen. Schon wieder.«
»Auch das noch!«, klagte Wulf. »Kannst du sie noch ein paar Tage hinhalten?«
»Das will ich gern versuchen. Aber du kennst sie ja.«
Allerdings, dachte Wulf. Seit über dreißig Jahren kannte er Chris’ Mutter.
Unglücklicherweise kannte sie ihn überhaupt nicht. So wie alle anderen, die nicht zu seinem Fleisch und Blut gehörten, vergaß sie ihn fünf Minuten, nachdem er aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
»Also gut«, gab er sich geschlagen. »Bring sie morgen Abend hierher.«
Er ging zu der Treppe, die ins Kellergeschoss führte. Wie die meisten Dark Hunter zog er es vor, in Räumen zu schlafen, in die kein Sonnenstrahl zufällig eindringen konnte. Denn das Sonnenlicht gehörte zu den wenigen Gefahren, die seinen unsterblichen Körper zerstören konnten. Er öffnete die Tür.
Die Deckenleuchte musste er nicht anknipsen, weil Chris die kleine Kerze, die auf dem Schreibtisch stand, angezündet hatte. Die Augen eines Dark Hunters brauchten fast kein Licht. In der Finsternis sah er besser als die Menschen im Sonnenschein.
Er zog seinen Pullover aus. Vorsichtig betastete er die vier Schusswunden an seiner Seite. Die Kugeln hatten das Fleisch glatt durchdrungen, die Haut begann bereits zu heilen.
Gewiss, die Verletzung schmerzte. Doch sie würde ihn nicht umbringen. In ein paar Tagen würde er nur noch winzige Narben sehen.
Mit seinem schwarzen T-Shirt wischte er das Blut weg. Dann ging er ins Bad, um die Wunde zu waschen und zu verbinden.
In Bluejeans und einem weißen T-Shirt kehrte er in den Kellerraum zurück und schaltete die Stereoanlage ein. Während die selbst zusammengestellte Scheibe mit Slades »My Oh My« begann, ergriff er sein schnurloses Telefon. Dann schaltete er den Computer an und loggte sich in die Dark Hunter.com Website ein, um die anderen über die Daimons zu informieren, die er in dieser Nacht getötet hatte.
Callabrax wollte immer ganz genau wissen, wie viele Daimons jeden Monat eliminiert wurden. Aus unerklärlichen
Gründen vertrat der spartanische Krieger den bizarren Standpunkt, die Aktivitäten der Daimons würden mit den Mondphasen zusammenhängen.
Nach Wulfs Ansicht hatte der Spartaner einfach nur zu viel Zeit, mit der er nichts anzufangen wusste. Doch das galt für alle Unsterblichen.
Im Halbdunkel lauschte er dem Text des Songs. »I belief in woman, my oh my. We all need someone to talk to, my oh my …«
Gegen seinen Willen beschworen die Worte die Bilder seiner
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