Geliebte des Blitzes
wusste man nie, wie lange man den Atem anhalten musste.
So wie jetzt.
Vor dem Tauchen hatte er seine Atemzüge auf zwei pro Minute reduziert und sich dann in die Arme des Ozeans geworfen, der ganz schön angefressen war. Mit eingeschalteter Stirnlampe sank er tiefer ins dunkle Wasser hinab. In der Hechtbeuge verbrauchte er möglichst wenig Energie, steifbeinig näherte er sich dem Meeresgrund, doppelt so schnell wie er mit einer vollständigen Taucherausrüstung vorankäme.
Wenn man beim Freitauchen alles richtig machte, zum Vergnügen oder zur Übung, genoss man einen der besten Kicks – im alten Zen-Stil. Und Wyatt fühlte sich wohl, während das Wasser rings um ihn rauschte,
schwebte in jenem Zwischenreich, das Leben oder Tod bedeutete. Das Meer schmiegte sich an seinen Körper, saugte ihn in seine Tiefen hinab und hielt ihn fest wie die Arme und Beine einer Frau bei ihrem Höhepunkt. So wie Faith letzte Nacht …
Faith, ein passender Gedanke in diesem Moment. Fast sofort stellte sich ein Säugetierreflex ein, und Wyatts Körper verstand, was von ihm erwartet wurde, gestattete ihm, die Tiefe zu ertragen, die er mit mangelndem Sauerstoff ansteuerte.
Die Herzschläge verlangsamten sich. 80 – 70 – 60. Schließlich würde die Bradykardie unter 55 sinken. Darauf würde eine Gefäßverengung, dann die Zusammenziehung der Milz folgen. Eine Umverteilung des Blutes würde in einer Tiefe von über dreißig Metern Wyatts Lungen retten.
Dank des Gewichtgürtels bewegte er sich in einer relativ geraden Linie. An den Pontons der Bohrinsel durfte er sich nicht orientieren, sonst liefe er Gefahr, an ihnen hängen zu bleiben. Das Wasser wurde kälter, rauschte immer heftiger, und er musste sich ziemlich anstrengen, damit er nicht vom Kurs abkam.
Dieser verdammte Sturm, von Menschenhand erzeugt! Sobald sich eine Gelegenheit ergab, würde er Sean Stowe töten. Auch das gehörte zu seiner Mission.
Nun wurden seine Lungen zusammengequetscht, der Druck in seinen Ohren war fast unerträglich und bedeutete ihm, er würde bald die Grenze seines Durchhaltevermögens erreichen. Im aufgewühlten Wasser konnte er trotz der Stirnlampe kaum etwas sehen. Da stieß er gegen etwas, einen Hai oder einen Menschen,
und verdammt – er hoffte wirklich, es wäre ein Mensch.
Was immer es sein mochte, es glitt davon, und er durfte keine Zeit verlieren, musste es sofort zu sich heranholen.
Er hakte einen Fuß an einem der vielen Hundert Stahlkabeln zwischen den Pontons fest, schloss die Augen und ließ das Kribbeln in seinen Zehen beginnen. Dann streckte er eine mentale Hand aus und zog das Objekt zu sich heran, bis er einen Arm zu fassen bekam – Lens Arm. Der Taucher klammerte sich an eine Leine, die mit der funktionsunfähigen Tauchglocke verbunden war. Reglos hingen seine Beine hinab. Gar nicht gut. Wyatt umschlang Lens Taille und riss die Leine los.
Völlig geschwächt, kaum bei Sinnen, lehnte Len mit dem Rücken an der Brust seines Retters. Wyatt warf den Gewichtgürtel ab, trat mit seinen Flossen energisch gegen das Wasser, um die nötige Schwungkraft für die Reise nach oben zu erzielen, und drückte Len an sich. Wegen seiner kompletten Taucherausrüstung war der Mann verdammt schwer. Immer wieder prallte der Helm nach hinten gegen Wyatts Gesicht. Dass er seinen Kopf ständig zur Seite drehen musste, damit er nicht bewusstlos geschlagen wurde, erleichterte seine Aufgabe keineswegs. Und das Meer wirbelte ihn ebenso wie seinen Schützling gnadenlos herum.
Er spürte den Schmerz in der Lunge, der instinktive Drang auszuatmen ließ sich kaum bezwingen. Verbissen bekämpfte er alle Widrigkeiten, um unversehrt emporzutauchen. An der richtigen Stelle der Oberfläche …
Darum betete er, auch darum, dass Len das Auftauchen überleben würde. Um zu dekomprimieren, fehlte ihnen die Zeit. Dem geschwächten Mann ging die Luft aus, und Wyatt hoffte inständig, die Jungs an Deck würden die hyperbare Sauerstoffkammer bereithalten.
Endlich stieß er durch die Meeresoberfläche, atmete durch den Schnorchel aus, und sein Körper fühlte sich bleischwer an, während er das Sauerstoffdefizit auszugleichen begann. So behutsam wie möglich, was ihm im heftigen Wellengang verdammt schwerfiel, würde er das Totgewicht namens Len auf die Tauchplattform befördern.
Die erste Person, die er sah, war Faith. Auf dem Mitteldeck, sicher vor den wilden Wogen, erwartete sie ihn. Und das war das Beste an der ganzen Aktion. Eine Welle schleuderte ihn gegen die
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