Geliebte Fälscherin (German Edition)
sie am nächsten Nachmittag auf die Bahnhofsplattform in Nashville trat, hoffte sie das mehr als alles andere auf der Welt.
3
C laire folgte dem Strom der Fahrgäste hinaus auf die Plattform und blieb erst stehen, nachdem sie sich ihren Weg durch den überfüllten Bahnhof gebahnt hatte. Die Spätnachmittagssonne stand am dunstigen Himmel im Westen und ein Windhauch, in dem kein Rauch und Ruß lag, kühlte angenehm ihr Gesicht. Sie zweifelte nicht daran, dass jedes Sand- und Staubkorn zwischen Louisiana und Tennessee in ihren Hautporen lag, beziehungsweise sich auf ihren zerzausten Locken niedergelegt hatte.
Jeder Zentimeter ihres Körpers schmerzte und sie fühlte sich völlig ausgelaugt und erschöpft. Sie war erleichtert, dass sie endlich angekommen war. Gleichzeitig war sie alles andere als erleichtert, als sie jetzt die Stadt Nashville betrachtete.
Diese Stadt musste vor dem Krieg schön und sogar charmant gewesen sein. Aber das Gefühl der Niederlage und die schmerzlichen Verluste waren deutlich zu spüren. Häuser, die hauptsächlich aus Ziegeln mit ein paar Schindeln gebaut waren, säumten die schmalen Straßen. Die Mehrheit der Gebäude stand leer, die Fenster waren mit Brettern zugenagelt. Die Häuser, die nicht zugenagelt waren, waren kaputt und hatten Risse, offenbar, wie es aussah, schon lange verlassen. Einige Straßen weiter ragte ein Kirchturm ohne jede Verzierung kahl und einsam zum Himmel hinauf.
Die wenigen Straßenschilder, die es gab, beugten sich wie unter einem unsichtbaren Gewicht auf eine Seite. Und dort, wo früher Bäume geblüht hatten – sie konnte sich auch jetzt noch stattliche Pappeln und Ahorne in den unscheinbaren Straßen vorstellen – war die Erde mit abgebrannten Baumstümpfen und Müll- und Schutthaufen übersät. Und die Menschen …
Ihre Gesichter spiegelten ihre Umgebung wider.
Soldaten, die immer noch die Uniform einer früher einmal stolzen Armee trugen, standen in Zweier- und Dreiergruppen zusammen. Der graue Wollstoff war zerschlissen und fadenscheinig, die Mäntel hingen lose an ihren zu dünnen Schultern. Dunkelhäutige Menschen bevölkerten die Straßen – viel mehr als in New Orleans –, aber keiner von ihnen trug das strahlende Lächeln von Männern und Frauen, die vor Kurzem die Freiheit erlangt hatten. Im Gegenteil, sie strahlten die gleiche Niedergeschlagenheit aus wie die Männer, die darum gekämpft hatten, sie weiter als Sklaven halten zu können.
Erst vor einem Monat hatte sie im New Orleans Picayune gelesen, dass der Bundesstaat Tennessee endlich wieder in die Union aufgenommen worden war, über ein Jahr, nachdem der Krieg zu Ende gegangen war. Aber als sie jetzt die Stadt betrachtete und die Folgen des Krieges sah, konnte Claire das Gefühl nicht loswerden, dass der Kampf immer noch nicht vorbei war.
Hierher wollten Papa und Onkel Antoine kommen? Sie griff in ihre Handtasche, um die Taschenuhr ihrer Mutter herauszuholen und auf die Uhr zu schauen. Dabei streiften ihre Finger einen Zettel. Sie zog ihn heraus. Die Adresse, die Onkel Antoine auf ein Stück Briefpapier geschrieben hatte. Das Briefpapier hatte er von einer seiner vielen Reisen mitgebracht, wie sie wusste. Diese Reise hatte ihn nach New York, in die Galerie Perrault geführt. New York war eine Stadt, in die sie nie wieder fahren wollte. Aber im Vergleich zu Nashville …
Onkel Antoine hatte sie angewiesen, direkt nach ihrer Ankunft zu dieser Adresse zu gehen. Und er hatte ihr versichert, dass man sie dort gut aufnähme, bis sie nachkämen. Papa hatte, bevor sie in die Kutsche gestiegen war, das Gleiche gesagt. Aber jetzt, da fast achthundert Kilometer zwischen ihr und den beiden Männern lagen, spürte sie nicht mehr denselben Druck, ihnen zu gehorchen, wie an dem Abend, an dem sie New Orleans verlassen hatte.
Und doch …
Sie hatte keine Schlafmöglichkeit außer der, die bereits für sie arrangiert war, wie auch immer diese aussah. Und sie hatte auch kein Geld mehr, da sie ihre wenigen Münzen unterwegs für ihre kargen Mahlzeiten ausgegeben hatte. Während sie mit ihrer Reisetasche in der Hand unschlüssig am Bahnhof stand, fiel ihr kurzer Traum von Unabhängigkeit und Abenteuer vor ihren Füßen erbärmlich zusammen. Resigniert erkannte sie, dass sie nur eine einzige Möglichkeit hatte.
„Sir?“ Sie hielt einen Gepäckträger an. „Wären Sie so freundlich und würden mir den Weg zu dieser Adresse sagen?“
„Natürlich, Madam.“ Er warf einen Blick auf den Zettel. Dann
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