Geliebte Gefangene
Hand zitterte so sehr, dass der Ring auf den Tisch fiel und mit einem funkelnden Glitzern weiterrollte. Er hörte, dass sich unter den abergläubischen Wachen Unruhe breitmachte. Standish sah angespannt aus, als könnte er nicht recht glauben, was er gehört hatte.
„Verzeihung, Mylady, aber es ist leicht, einem Toten einen Ring zu stehlen.“ Simons Stimme war rau. „Das beweist gar nichts.“
Die Spannung im Raum war nun beinahe mit Händen zu greifen.
„Ihr traut mir nicht“, sagte Anne geradeheraus.
Ihre Blicke trafen sich. „So ist es“, erwiderte Simon. „Ich vertraue niemandem.“ Er spürte, wie der Zorn in ihm brodelte. Er wollte ihr glauben. Sein Herz sehnte sich fast schmerzhaft danach, aber das war genau die Schwäche, die seine Feinde aus nutzen würden. Plötzlich erfasste ihn eine namenlose Wut, die er nicht mehr unterdrücken konnte. In einer hitzigen Bewegung wischte er die Karten und Pläne vom Tisch und wirbelte zu ihr herum. „Hält Malvoisier mich für einen Narren, dass er Euch am Vorabend einer Schlacht zu mir schickt, um mich glauben zu machen, mein Bruder sei noch am Leben? Damit will er doch nur erreichen, dass ich den Angriff abblase! Tot oder lebendig, er will meinen Bruder nur als Verhandlungsmittel benutzen!“
„General Malvoisier weiß nicht einmal, dass ich hier bin.“ Annes Stimme klang ruhig, aber sie war sehr blass geworden. „Ich habe nur Euren Bruder und einige meiner vertrauenswürdigsten Bediensteten in meinen Plan eingeweiht. Aber ich bin tatsächlich gekommen, um Euch zu bitten, den Angriff auf Grafton abzusagen, Mylord. Euer Bruder lebt. Wenn Ihr das Gut angreift, werdet Ihr ihn ganz sicher töten.“
Simon starrte sie an, als hoffte er, in ihrem Gesicht erkennen zu können, ob sie die Wahrheit sagte. Ihr Blick war fest und unerschrocken. Sie sah genauso ehrlich und offen aus wie damals an dem heißen Sommerabend, als sie im Garten von Grafton seinen Antrag angenommen hatte. Aber das war schon einige Jahre her, und der Schein konnte trügen.
Fragend sah er sie an. „Warum kommt Ihr jetzt? Die Nachricht vom Tod meines Bruders ist zwei Wochen alt. Warum habt Ihr so lange gezögert?“
„Es war unmöglich, schneller einen sicheren Weg aus Grafton hierher zu arrangieren. General Malvoisier …“ Anne brach ab und fügte dann vorsichtig hinzu: „Das Haus wird streng bewacht.“
Simon wusste, dass dies stimmte. Er hatte Graftons Verteidigungsanlagen während der ganzen Zeit der Belagerung genau studiert und wusste, dass sie nur wenige Schwachstellen hatten. Das Gut war klein, aber es war wie eine Burg befestigt und von dem flachen Marschland, das es umgab, durch einen tiefen Graben getrennt. Auf der Festungsmauer lauerten Scharfschützen, und im Haus selbst befand sich eine ganze Garnison Fußsoldaten. Er wusste auch, dass Malvoisier trotz seiner Trunksucht dafür bekannt war, seine Männer gut gedrillt zu haben und dass die Angst sie gehorsam machte. Nein, eine Flucht aus Grafton war fast unmöglich.
„Sir Henry prophezeite, dass Ihr mir nicht glauben würdet, Mylord.“ Annes Stimme nahm einen ironischen Tonfall an. „Sei ne Worte lauteten: ‚Sagt meinem Bruder, diesem starrköpfigen Narren, dass er Euch zuhören muss. Um unser aller willen.‘“
Simon hörte das schnell unterdrückte Lachen einer Wache. Das klang in der Tat nach genau der Art Kommentar, den Henry machen würde. Er war respektlos und unbeschwert, selbst im Antlitz der Gefahr, aber hinter seiner Keckheit verbargen sich ein kühler Kopf und ein schneller Verstand. Andererseits hatte Anne Henry gekannt, als sie beide noch jung waren und wüsste bestimmt noch genug über seinen Bruder, um ihn, Simon, täuschen zu können, falls sie dies vorhatte. „Wenn Henry Euch wirklich geschickt hat, dann hat er Euch sicher noch einen anderen Beweis mitgegeben, um mich zu überzeugen.“
Anne wirkte gelassen. „Wenn es Euch gefällt, mir zu misstrauen, Mylord, wird kein Beweis der Welt Euch umstimmen können, außer Ihr seht Henry mit eigenen Augen. Und das kann ich leider nicht arrangieren.“ Sie hielt kurz inne. „Er erwähnte eine Anekdote, die Euch überzeugen könnte. Es war etwas, das ich vorher noch nicht wusste, auch wenn wir in unserer Kindheit einige Zeit miteinander verbracht haben.“ Sie machte wieder eine kurze Pause, als hätte sie sich gerade daran erinnert, dass diese Vergangenheit nie wiederkommen würde. Dann räusperte sie sich und sprach weiter. „Offensichtlich gab es
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