Geliebte Myriam, geliebte Lydia
einmal.
'Dann eßt schnell was, damit wir uns auf den Weg machen können! Wir sind sowieso schon spät genug dran.'
Aber sie schüttelten wieder nur den Kopf und machten ein Gesicht, als ob sie sich maßlos überfressen hätten.
'Aber ihr müßt doch was essen! Wie wollt ihr sonst die Strapazen des heutigen Tages überstehen?'
Jedoch - es half alles nichts. Sie blieben stur und weigerten sich standhaft, auch nur einen Bissen anzurühren. Das einzige, wozu ich sie überreden konnte, waren einige Schlucke aus der Wasserflasche. Dabei hatte ich übrigens einen leichten Schock, wie ich entdeckte, daß tatsächlich nur noch zwei Flaschen übrig waren, eine unangebrauchte und die, die ich jetzt für meine zwei Süßen öffnete. Hm, da würden wir heute aber mit dem Wasser sparen müssen!
Nachdem nun der Wassersack so leicht geworden war, übernahm ich darum auch den Freßsack und blies unverzüglich zum Abmarsch. Wir marschierten wieder im Gänsemarsch, und meine zwei Süßen bestanden darauf, daß ich wieder vorangehen sollte. Na gut, dagegen war natürlich nichts einzuwenden. Es hatte aber, zumindest am Anfang, den Nachteil, daß ich ständig zu schnell war und andauernd auf sie warten mußte. Während es nämlich mir heute deutlich besser ging, konnten sie sich offenbar kaum auf den Beinen halten, schlichen in einem entsetzlichen Schneckentempo hinter mir her und mußten alle paar Augenblicke Rast machen. Zum Glück hatten wir jetzt nicht mehr weit zu steigen und hatten die Gipfelregion, oder wie ich sie nennen soll, bald erreicht.
Dort entdeckte ich nämlich, daß dieses Thebanische Gebirge gar kein sozusagen 'normales' Gebirge ist, sondern nur eine leicht gewellte Hochfläche, in die sich tiefe canyonartige Täler eingegraben haben. Diese Hochfläche liegt an sich gar nicht besonders hoch; die Täler sind schätzungsweise höchstens ein paar hundert Meter tief - unter normalen Voraussetzungen also überhaupt keine Affäre, aber in unserem Zustand halt doch eine fast hochalpine Unternehmung.
Und jetzt wie weiter? An der Stelle, wo wir momentan standen - oder saßen - war besagte Hochfläche höchstens drei-, vierhundert Meter breit. Ich ließ meine zwei Süßen an unserem Rastplatz sitzen und ging bis zu ihrem anderen Rand hinüber, um zu sehen, wie's dort aussieht. Nun, soweit das Auge reichte, ein einziger Steilabbruch, und zwar nicht in ein enges Tal, sondern in eine weite Wüstenebene, und in der Ferne war zu meinem unbeschreiblichen Entzücken der breite, dunkelgrüne Streifen des Fruchtlandes zu erkennen und in dessen Mitte das Silberband des Nils. Und damit hatte ich also zum ersten Mal eine Möglichkeit, unseren Standpunkt annähernd zu bestimmen und die Entfernung, die wir noch zurückzulegen hatten, abzuschätzen. Und ich schätzte sie auf zirka fünf bis zehn Kilometer. Naja, das müßte, falls nichts Gravierenderes dazwischenkommt, in einem Tag spielend zu bewältigen sein! Am erwähnten Steilabbruch zieht sich also die Hochfläche in einem relativ schmalen Streifen in ungefähr südlicher Richtung dahin. Wenn wir auf ihr in dieser Richtung weiterwanderten, konnte somit nicht viel schiefgehen, und obendrein waren wir hier heroben vor unseren lieben Freunden zweifellos besser geschützt als drunten im Tal.
Und damit hätte eigentlich alles in schönster Ordnung sein können: unser Weg verlief von nun an mehr oder weniger eben, die Eiszeit war vorüber, die liebe Sonne stand schon hoch am Himmel, ein angenehmer, frischer Wind war aufgekommen, vor unseren Freunden waren wir relativ sicher, mir ging's schon bedeutend besser - ja, mir; aber meinen zwei armen Süßen nicht. Ihnen ging's offensichtlich bedeutend mieser, um nicht zu sagen: absolut beschissen, und darum war eben gar nichts in schönster Ordnung - im Gegenteil. Die heutige Etappe muß für sie die reinste Hölle gewesen sein. Und es fällt mir sogar heute noch extrem schwer, euch von dieser Hölle zu berichten. Erspart mir bitte die genaueren Details! Die Sache ist nämlich, offen gesagt, die: sie hatten mit einemmal Flitzeritis - Durchfall - Scheißerei. Und wie! Und das ohne Wasser und ohne sonstige Möglichkeit, sich zu reinigen. Ich kann euch nur sagen: furchtbar, was die zwei da mitgemacht haben! Und in gewisser Weise ich mit ihnen. Das war auch der Grund, warum sie nichts essen wollten und total geschwächt waren. Nur Wasser nahmen sie, wie erwähnt, zu sich - solang eben der Vorrat reichte. Aber jetzt dauerte es nicht mehr lang, und
Weitere Kostenlose Bücher