Geliebte Myriam, geliebte Lydia
auch nicht leichter. Ja zum Kuckuck, gab's denn keine Möglichkeit, sich irgendwo anzuwärmen? Natürlich abgesehen vom Spinnentanz, von dem ich die Nase gestrichen voll hatte.
Naja, irgendwann muß ich doch einmal eingenickt sein - aber auch nicht mehr. Und als ich dann wieder wach wurde, war's noch kälter, und ich bibberte noch heftiger. Und wie ich die Augen aufschlug, merkte ich, daß es gar nicht mehr stockfinster war, oder wie's eben in einer sternklaren, aber mondlosen Nacht finster ist, sondern daß alles in ein fahles Licht getaucht war. War die Nacht und damit unsere Tortur schon zu Ende? Aber das war nicht das Licht des Morgengrauens; das sah aus wie das Licht des Mondes. Aber wo war der Mond? Kein Mond zu sehen! Ich schaute auf die Uhr: erst zwei vorbei. Merkwürdig! In dieser Nacht ist alles verkehrt - die unerwartete Kälte, das Mondlicht ohne Mond! Ich richtete mich ein wenig auf und betrachtete verwundert die gespenstische Mondlandschaft - und damit meine ich jetzt nicht die Landschaft im Mondschein, sondern was man eben normalerweise unter 'Mondlandschaft' versteht -, und mein Bibbern am ganzen Körper wurde noch heftiger. Aber dabei fiel mir etwas auf, was ich immerhin als vergleichsweise angenehm empfand - na 'angenehm' ist natürlich höchst unpassend in diesem Zusammenhang; sagen wir lieber: ein Glück im Unglück -: es war total windstill. Nicht auszudenken, wenn auch noch ein Wind gegangen wäre! Ich glaube, wir hätten die Nacht nicht überlebt.
Während ich halb aufgerichtet und vor Kälte halb gelähmt herumschaute, fiel mein Blick auf meine armen Süßen, die in diesem unwirklichen, gespenstischen Licht deutlich erkennbar waren. Lydia lag, wie schon gewohnt, rechts von mir, und Myriam links von mir, und beide lagen fest zusammengerollt und sichtlich verkrampft, und es war sogar in der relativen Dunkelheit zu erkennen, daß sie beide wie Espenlaub zitterten. Und beim genaueren Hinsehen merkte ich, daß sie beide die Augen weit offen hatten und beide ein Gesicht machten, als würden sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. Und da begann Myriam zu meiner Linken plötzlich auf mich zuzukrabbeln, streckte ihre Arme nach mir aus, zog mich zu sich hinunter und klammerte sich krampfhaft an mich. Und im nächsten Moment klammerte sich Lydia zu meiner Rechten an mich, und jetzt preßten sich beide eng an mich und schnürten mir damit fast die Luft ab. Außerdem spürte ich jetzt ihr Zittern direkt auf meinem Körper, und das störte mich im ersten Augenblick unheimlich. Nach einiger Zeit merkte ich allerdings, daß von ihren so ausgekühlten Körpern doch noch eine gewisse Wärme ausging, und die übertrug sich allmählich auf mich, und das empfand ich alsbald als wirklich angenehm, und umgekehrt dürften sie sich an mir bis zu einem gewissen Grad angewärmt haben und hörten schließlich tatsächlich, zuerst Lydia und dann auch Myriam, zu zittern auf. Und da merkte ich, daß ich ebenfalls nicht mehr zitterte.
Naja, richtig warm ist uns natürlich trotzdem nicht geworden, aber der Erfrierungstod wurde wenigstens abgewendet. Ob wir auf diese Weise besser geschlafen haben, wüßte ich zwar nicht zu sagen, aber ein paarmal ist es mir doch gelungen, kurz einzunicken. Eines der zwei Rätsel dieser Nacht hat sich übrigens noch im Laufe der Nacht gelöst. Wie ich wieder einmal aufwachte, stand der Halbmond am Himmel und schien mir direkt ins Gesicht, und ich kombinierte, daß er vorher noch hinter der Bergflanke rechts von uns verborgen gewesen war und inzwischen eben über den Horizont hervorgekommen war.
Und dann wachte ich vielleicht zum hundertsten Mal in dieser schrecklichen Nacht auf und merkte, daß es wieder hell war, und zwar richtig hell, nicht nur mondhell, und daß diese schreckliche Nacht vorbei war und ich immer noch lebte. Lebten meine zwei Süßen auch noch? Ja, Gott sei Dank, sie lebten noch und waren ebenfalls schon wach. Aber wir waren alle drei dermaßen gelähmt vor Kälte, daß wir uns nicht einmal Guten Morgen wünschten oder sonst was sagten oder taten. Außerdem war mein Kopfweh kaum besser geworden und natürlich auch mein Muskelkater nicht; dagegen war meine Übelkeit auf einmal weg, und das war immerhin eine Riesenerleichterung. Und meine zwei Süßen? Oje, die machten beide ein Gesicht ... aber vielleicht nur wegen der Kälte? Ich hob meinen Kopf, so gut ich konnte, und entdeckte, daß auf die andere Seite des Talbodens bereits die Morgensonne schien. 'Ha! Die Sonne!'
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