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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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besser bekannt als Orgien ...'
    'Oho!' rief Götzi dazwischen.
    Ich wandte mich zu ihm um und sagte: 'Und weißt du auch, was das Wort „Orgien“ eigentlich bedeutet?'
    'Na, Ausschweifungen natürlich!'
    'Falsch geraten! Es bezeichnet eigentlich den Gottesdienst von Eingeweihten.'
    'Na sowas!' rief Frau Heuberger, die unserer Diskussion bis jetzt nur atemlos gelauscht hatte.
    'Ja', fuhr ich fort, 'das zeigt, daß Gottesdienst mehr sein kann als andächtig beten und dabei nicht links und rechts schauen. Religion kann auch das Element der Ekstase enthalten.'
    'Ha, das klingt aber spannend!' rief Clemens mit sichtlicher Begeisterung aus. 'Das heißt also, ein Gottesdienst müßte nicht unbedingt so tödlich langweilig sein?'
    'Ja, wirst du still sein?' schimpfte seine Mutter und schaute ihn ganz entrüstet an, und um sie abzulenken und ihm eine kleine Freude zu bereiten, entschloß ich mich spontan zu einem kleinen Vortrag und begann: 'Seitdem durch Alexander den Großen der ganze Orient inklusive Ägypten griechisch geworden war, bildeten sich aus den dortigen Volksreligionen durch Hellenisierung Mysterienreligionen, die alle bestimmte Gemeinsamkeiten aufwiesen: bindende religiöse Vorschriften und die Verpflichtung zum Glauben, Sakramente, Askese, Taufe, die Verheißung der Erlösung vom Bösen und einen Mythos, der das Schicksal des Eingeweihten symbolisierte und vom Leiden, Sterben und der Auferstehung des Rettergottes berichtet; dieser war überdies entweder der Sohn oder der Geliebte einer großen Muttergöttin wie zum Beispiel der ägyptischen Isis.'
    Und Clemens biß auch wirklich an; er rief: 'Hu, das klingt ja alles ...' Und damit verstummte er.
    Ich tat, als ob ich seinen unvollendeten Zwischenruf nicht bemerkt hätte, und fuhr im gleichen Ton fort: 'Wer kennt eine solche aus einer orientalischen Volksreligion entwickelte Mysterienreligion, die's heute noch geben soll?'
    Meine Zuhörer schauten mich nur verblüfft an. Dann gab ich selber die Antwort: 'Das Christentum natürlich! Das Christentum ist, religionsgeschichtlich gesehen, eine von diesen sogenannten orientalischen Mysterienreligionen. Seine Stellung zum Judentum ist also, mutatis mutandis, exakt dieselbe wie die der Isis- und Osirisreligion zur traditionellen Religion der alten Ägypter. Übrigens haben die Urchristen ihre Religion selber als 'mysterium' bezeichnet. Ich weiß das zufällig, weil ich inzwischen genügend urchristliche Texte gelesen habe.'
    'Hm.' Herr Heuberger räusperte sich. 'Soso. Wollen Sie damit sagen, daß es in der traditionellen Religion der alten Ägypter gar keine Mysterien gegeben hat?'
    'Genau - das will ich damit sagen.'
    'Und wie kommen dann die Pyramidenforscher dazu, von der Einweihung des Pharao zu sprechen?'
    'Weiß ich nicht. Vielleicht durch Verwechslung mit den hellenistischen Isis- und Osirismysterien, die sie wahrscheinlich fälschlicherweise für altägyptisch halten.'
    'Und wieso kann's eigentlich nicht auch schon in der traditionellen altägyptischen Religion Mysterien gegeben haben?'
    Ich dachte kurz nach und sagte dann: 'Weil eine Mysterienreligion, wie wir ja vom Christentum wissen, eine sehr persönliche Form der Religion ist, während in den alten Volksreligionen die Götter vorwiegend für das Wohlergehen ursprünglich der Sippe und später des Staates zuständig waren. Was darüber hinaus für die ägyptische Religion nachgerade charakteristisch ist, das ist von allem Anfang an ein übermächtiger Hang zum Formalismus, und dieser ist selbstredend mit persönlicher Frömmigkeit unvereinbar. Und noch ein Wesenszug der ägyptischen Religion, ebenfalls von den frühesten Anfängen bis zu ihrem Erlöschen als Folge des Vordringens des Christentums: stets war sie von der Magie durchdrungen. Und Magie bildet wohl den stärksten Gegensatz zu wahrer Religion, nicht wahr? Den Unterschied zwischen Magie und Religion könnte man so definieren: in der Religion wendet sich der Gläubige an die Gottheit als Bittender und erfleht ihre göttliche Hilfe; in der Magie übt der Magier Zwang auf die Gottheit aus und versucht mit Hilfe von Zaubersprüchen und Beschwörungen, sie seinem eigenen Willen zu unterwerfen.'
    'Na, ich weiß nicht', meldete sich hier wieder Clemens zu Wort, 'manchmal hab' ich in der Kirche das Gefühl, als ob das Christentum genauso hauptsächlich aus einer Reihe von Zaubersprüchen und Beschwörungen besteht!'
    'Clemens!' zischte Mütterlein voller Entsetzen. Aber er war von seiner Idee nicht

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