Geliebte Suenderin
Großvater.
»Du kannst fort. Keiner braucht zu wissen, daß du hier warst.
Ich hab’s so geplant - du mußt es tun. Ich werde nicht zulassen, daß mein Fleisch und Blut mit mir stirbt!«
»Da kommt jemand!« schrie der Wächter von der Tür her.
Sein Schrei holte die Männer aus ihrer Starre. Wie eine Welle brandeten sie zur Tür hinaus, die Schwerter ein letztes Mal erhoben, bereit, sich zu rächen, bevor sie selbst der Tod ereilte.
»Keine Zeit!« flüsterte der Laird kaum hörbar. »Zu spät.
Sabrina, hör gut zu, Kind. Vergraben, neben dem -« Er würgte, und sein von einem Krampf geschütteltes Gesicht wurde violett.
»Großvater«, flüsterte Sabrina flehend; er durfte einfach nicht sterben.
»Muß dir das Geheimnis sagen . . . falsch . . . die Kirche . . .
Fäden . . . Gold . . . goldene Fäden.«
Sabrina riß den Kopf hoch, als die alte Frau anfing zu wehkla-gen, ihren Körper dabei hin und her wiegte. Durch die Tür hörte sie Schüsse und Schreie, der Kampf war wieder neu entbrannt.
»Großvater«, begann Sabrina und verstummte, als sie seine grauen Augen sah, die an ihr vorbei ins Nichts starrten. Sie brach schluchzend über ihm zusammen, bedeckte seinen Körper mit dem ihren.
»Oh, Großvater, warum, warum?« rief sie laut. Sie hob ihren Kopf von seiner Brust, schloß mit sanfter Hand seine Augen und drückte ihre weichen Lippen auf seine Wange. Sie spürte etwas Kaltes, Hartes unter ihrer Hand und sah, daß es eine seiner Pistolen war, die noch von seinem Gürtel hing. Sie nahm schnell eins der Highland-Embleme und den reichverzierten Dolch von seinem Gürtel. Die scharfe Klinge ritzte ihre Haut auf, als sie ihn an ihrer Corsage festmachte.
Sabrina drehte sich schnell um, als die Tür aufschwang und McElden hereinstolperte. Er schlug die Tür zu und lief zu ihr, obwohl sie drohend die Pistole auf ihn gerichtet hatte.
»Tot?« fragte er leise.
»Aye«, erwiderte Sabrina automatisch, so wie sie es ihren Großvater oft hatte sagen hören. Langsam richtete sie sich auf.
»Du wirst dafür sorgen, daß er mit seinem Schwert und Stam-meszeichen beerdigt wird? Daß man ihn nicht den ...« Sie verstummte, konnte nicht aussprechen, was Schreckensbilder vor ihrem inneren Auge heraufbeschwor.
»Aye, er wird begraben werden, wie es sich geziemt, auf seinem eigenen Land«, versprach McElden mit grimmigem Gesicht. »Die werden ihn nicht ausziehen wie die Aasgeier, nicht schänden - nicht den Laird.«
Sabrina erschauderte vor den Kampfgeräuschen draußen und fragte sich, wer wohl siegen würde. Das Wehklagen der alten Frau dröhnte wie eine Warnung in ihren Ohren - aber wohin sollte sie fliehen? Sie war in der Falle, ohne eine Fluchtmöglichkeit.
Sie fühlte die Pistole in ihrer Hand und fragte sich, ob sie dazu fähig wäre, einen von ihnen zu töten, ehe sie sie töteten. Oder würden sie sie gefangennehmen und foltern wie schon so viele andere?
Plötzlich packte McElden sie und zerrte sie in eine Ecke der Hütte. Er schob einen grobgezimmerten Tisch und einen schäbigen Wollteppich beiseite, kniete sich hin und entfernte einige große Steine, so daß eine kleine Öffnung in der Hüttenwand entstand.
»Schnell, raus mit dir und rauf zu den Kiefern. Folge ihnen bis zum Schloß«, sagte er und schob sie durch die kleine Öffnung.
Sabrina schaute über die Schulter zur Leiche ihres Großvaters und murmelte einen letzten Gruß. »Kommst du nicht mit?«
fragte sie McElden.
Er richtete sich auf und erwiderte schmerzbewegt: »Ich kann den Laird nicht im Stich lassen.«
Sabrina nickte mitfühlend, dann schlängelte sie sich durch die schmale Öffnung, die zu einem Stapel Torf führte, der als Brennstoff für den Winter hier zum Trocknen aufgestapelt war.
Sie kroch daran entlang und lugte dann vorsichtig um die Ecke.
Sie sah die Kiefern vor der kahlen Bergsilhouette emporragen.
Mit einem Mal schien es, als würde die Erde erbeben. McEldens Dudelsack stimmte eine traurige Weise an. Alle anderen Geräusche wurden von den schrillen, disharmonischen Klängen des Instruments übertönt. Sabrina rannte aus der Deckung der Torfstapel und lief in den Schutz der Bäume. Dann kletterte sie den Abhang hoch, begleitet vom Trauerlied des Pfeifers. Sie schaute kurz über die Schulter und begann zu weinen, als sie sah, wie einige Engländer die kleine Hütte umstellten, während andere die fliehenden Männer des Clans verfolgten.
Sabrina stolperte und fiel so heftig zu Boden, daß es ihr den Atem verschlug.
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