Geliebter Barbar
Gründe, die ihn alle daran hindern würden, sich in einen liebeskranken Schwächling wie sein Bruder Patrick zu verwandeln, und als er schließlich in Schlaf fiel, hatte er sich selbst davon überzeugt, daß er Herz und Verstand trennen konnte.
Dann träumte er die ganze restliche Nacht von ihr.
Judith hatte fast den ganzen Morgen verschlafen. Iain war schon längst fort, als sie sich endlich streckte und reckte. Sie fühlte sich steif und zerschlagen und stieß ein undamenhaftes Stöhnen aus, bevor sie aus dem Bett stieg.
Sie hatte keine Ahnung, was von ihr als Frau des Clansherrn erwartet wurde. Also beschloß sie, sich erst einmal anzuziehen und dann ihren Mann zu suchen, um ihn zu fragen. Sie hatte frische Unterwäsche und das blaßrosa Kleid in ihre kleine Tasche gepackt. Zum Anziehen nahm sie sich Zeit, und als sie schließlich fertig war, machte sie das Bett und faltete das zusätzliche Plaid, das Iain auf der Überdecke zurückgelassen hatte.
Die große Halle war leer. In der Mitte des Tisches stand eine Schüssel mit Äpfeln. Ein Laib Schwarzbrot lag daneben. Judith goß sich einen Becher voll Wasser und aß einen Apfel. Sie erwartete, daß jeden Moment ein Diener hereinkommen würde, aber als auch nach einer Weile niemand kam, nahm sie an, daß alle draußen anderen Pflichten nachgingen.
Dann entdeckte sie Graham, der oben auf dem Treppenabsatz erschien. Sie wollte ihm gerade zurufen, als sie es sich anders überlegte. Der Sprecher des Rates merkte nicht, daß er beobachtet wurde. Er sah schrecklich traurig und müde aus, warf einen Blick über seine Schulter, schüttelte den Kopf und betrat dann die Stufen. Judiths Herz flog dem älteren Mann zu, obwohl sie keine Ahnung hatte, was ihn so unglücklich machte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn stören sollte oder nicht. Graham trug ein kleines Kästchen auf dem Arm. Als er halb unten war, hielt er wieder an, um seine Last zu verlagern, und sah sie dann unten stehen.
Sie lächelte augenblicklich. »Guten Morgen, Graham«, rief sie ihm zu.
Er nickte, aber sein Lächeln kam ihr gezwungen vor. Sie eilte zu ihm herüber und deutete auf das Kästchen.
»Soll ich das für Euch tragen?«
»Nein, Frau«, antwortete er. »Ich mache das schon. Brodick und Alex holen den Rest meiner und Gelfrids Sachen. Wir sind Euch im Handumdrehen aus dem Weg.«
»Ich verstehe nicht«, sagte sie. »Ihr seid mir nicht im Weg. Was meint Ihr denn damit?«
»Wir ziehen hier aus«, erklärte Graham. »Nun, da Iain eine Frau hat, ziehen wir in die Häuser unten am Weg.«
»Warum?«
Graham hielt an, als er die letzte Stufe erreicht hatte. »Weil Iain jetzt verheiratet ist«, erklärte er geduldig.
Judith trat einen Schritt heran und stand nun direkt vor ihm. »Ihr zieht aus, weil Iain mich geheiratet hat?«
»Ich glaube, das sagte ich gerade, nicht wahr? Ihr werdet Eure Ruhe haben wollen, Judith!«
»Graham, bevor Iain und ich geheiratet haben, habt Ihr – daran kann ich mich noch genau erinnern – ihm Eure Unterstützung zugesagt.«
Graham nickte. »Das stimmt.«
»Dann könnt Ihr nicht gehen.«
Er hob erstaunt die Augenbrauen. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«
»Wenn Ihr geht, zeigt Ihr mir, daß Ihr diese Heirat nicht wirklich akzeptiert! Doch wenn Ihr bleibt …«
»Aber, Judith, darum geht es wirklich nicht. Ihr seid frisch verheiratet, und Ihr habt ein Recht auf Zweisamkeit. Wir zwei alten Männer würden dabei nur stören.«
»Dann geht Ihr nicht, weil Ihr ungern mit einer Engländerin unter einem Dach wohnen wollt?«
Ihr Blick zeigte ihm, wie ernst es ihr war. Er schüttelte heftig den Kopf. »Wenn es so wäre, würde ich es sagen!«
Sie glaubte ihm, stieß einen erleichterten Seufzer aus und sagte dann: »Wo leben den Vincent, Owen und Duncan?«
»Bei ihren Frauen.«
Er wollte an ihr vorbeigehen, doch sie versperrte ihm den Weg. Das Problem war natürlich sein Stolz. Also mußte sie einen Weg finden, beides zu vereinbaren.
»Wie lange habt Ihr hier gelebt?« begann sie in der Absicht, ihn hierzuhalten, bis ihr etwas Vernünftiges einfiel.
»Fast zehn Jahre jetzt. Als ich Clansherr wurde, zog ich mit meiner Annie ein. Sie ist vor fünf Jahren gestorben. Vor sechs Monaten übertrug ich Iain das Amt. Ich hätte zu dem Zeitpunkt gehen müssen, aber ich habe es stets hinausgezögert. Ich weiß aber, daß es nun an der Zeit ist.«
»Und Gelfrid?« fragte sie, als er wieder versuchte, an ihr vorbeizukommen. »Wie lange hat er hier
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