Geliebter, betrogener Mann
noch drei Trägerkolonnen angekommen, elend wie die erste, durch die grüne Hölle gepeitscht und angetrieben von dem verlockenden Gedanken: Am Ziel gibt es Reis. Reis für jeden. Eine Handvoll oder gar eine Schüssel voll, und man wird satt sein, zum erstenmal seit Wochen satt. Oder man wird im Sumpf versinken, mit einem Einschuß im Genick. Man sah es ja jeden Tag auf der Strecke von den Gebirgen zum Wasserfall: Wer unterwegs unter der Last zusammenbrach, verschwand im Sumpf. Aber man nahm es nicht tragisch; wieder eine Handvoll Reis mehr für uns, dachten die anderen. Sie verteilten das Gepäck des Erschossenen untereinander und zogen weiter. Durch eine Welt feuchtheißer Sumpfwälder, umschwirrt von Myriaden Mücken und Schnaken, schillernden Vögeln, Wasserratten und kleinen, höckrigen Wasserschweinen.
Eines Morgens trat Oberst Nam Ngoi Phu an die Arbeitsplätze Heidkamps und Pohlands. Man hatte eine Baracke nahe den Wasserfällen aufgeschlagen, ein festes Standquartier, das Teil für Teil auf den Rücken der Hungernden herangeschafft worden war. Die Zimmer waren europäisch eingerichtet. Eisenbetten, Decken, Spinde. Im Konstruktionssaal standen vier große Zeichentische mit sämtlichen zeichnerischen Hilfsmitteln. Zu den Außenvermessungen hatte Heidkamp die modernsten Geräte bekommen. Man hatte mitten im Dschungel ein Konstruktionsbüro aufgebaut, wie es neuzeitlicher an keiner europäischen Planungsstelle zu finden war.
»Alles aus Rotchina«, hatte Heidkamp gesagt, als er die kompliziertesten Winkelmeßgeräte betrachtete. »Moderne Technik und Sklaventum; das ist eine Verbindung, mit der diese Asiaten wirklich Gebirge versetzen könnten.«
Oberst Nam Ngoi Phu stand eine Weile still hinter dem großen Zeichenbrett. Er sah über Heidkamps Schulter zu, wie dieser nach den vorliegenden Messungen einen Querschnitt der linken Wasserfallseite zeichnete. Hier sollte in die Felsen eine Verengungsmauer verankert werden, die den Druck des Wassers auf die Turbinenschleusen verstärken würde.
»Haben Sie Lust, eine Jagd mitzumachen?« fragte Nam Ngoi Phu unvermittelt. Heidkamp zuckte zusammen, als er den Atem des Obersten in seinem Nacken spürte. Es war, als fühle er den Druck einer Pistole an seinem Haaransatz. Plötzlich fror er auch und wagte nicht, sich umzudrehen. Er starrte auf seine Zeichnung und dachte blitzschnell darüber nach, ob er etwas falsch gemacht hatte, ob eine Berechnung nicht stimmte. Er wußte ja, daß General Nai Tuan Dien alles noch einmal von einem Expertenstab nachprüfen ließ. Diese Männer im Hintergrund waren nüchterne Rechenmaschinen, ihnen fehlte das Genie, die Idee zur Neukonstruktion. Sie konnten ein gegebenes Material lediglich kontrollieren.
»Geht Herr Pohland auch mit?« fragte Heidkamp in mühsamen Englisch zurück.
»Ja. Er zieht sich schon um.« Oberst Nam Ngoi Phu trat an die Seite Heidkamps. »Man hat eine ziehende Herde Wasserschweine gesichtet. Sie könnten unseren Speisezettel bereichern, Sir. Ich glaube, auch der General hat nichts dagegen, wenn Sie einen Nachmittag mal nicht am Zeichenbrett stehen. Sie gehen mit?«
»Ja«, sagte Heidkamp und nickte.
»Ziehen Sie feste Stiefel und Ihren Tarnanzug an. Sie werden sich leider als Zuschauer betätigen müssen, denn ich darf Ihnen auf ausdrücklichen Befehl keine Waffe aushändigen. Sie werden das verstehen.«
»Natürlich.« Heidkamp verzog das Gesicht zu einem sauren Grinsen. »Ein Deutscher mit einem Taschenmesser ist schon eine Gefahr.«
In Ermangelung des Englischen hatte er diesen letzten Satz auf deutsch gesagt. Nam Ngoi Phu zögerte und überlegte, was er wohl bedeuten könnte. Aber dieses Mal versagte sein Instinkt. Es mochte daher kommen, daß er den Ruf, den die Deutschen in der Welt hatten, so genau noch nicht kannte.
Eine Stunde später befanden sie sich im dichtesten Dschungel. Pohland und Heidkamp war es ein Rätsel, wie sich Oberst Nam Ngoi Phu in dieser grünen Wildnis zurechtfand, durch die man stundenlang kriechen und gehen oder sich mit einem Buschmesser durchschlagen mußte und die doch überall gleich aussah: Riesenpflanzen, Sumpf, Gebüsche von Waldgröße, verfilzt und ineinander verschlungen als undurchdringbares Flechtwerk, dazwischen kleine Flußläufe, Seen, Wasseradern. Und doch war es, als sei der Oberst hier zu Hause, als kenne er jeden Baum, jedes sumpfige Gewässer.
Plötzlich blieb Nam Ngoi Phu stehen. Er lauschte, beugte sich vor und streckte den Kopf aus wie ein witterndes
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