Geliebter, betrogener Mann
letzter Ausdruck eines wahnsinnigen Schmerzes, der ihn durchtobt haben mußte, bis der Tod alles auslöschte.
Hans Heidkamp wandte sich ab. Der Anblick des Toten jagte ihm weniger Schauer ein als der Gedanke an die Tatsache, wie nahe sie selbst am Tode standen.
»Tiger –«, sagte er heiser. »Das war ein Tiger.«
Er bückte sich, riß die Maschinenpistole aus den verkrampften Fingern des Toten und lud wieder durch. Auch Pohland hatte in diesem Augenblick nur einen Gedanken. Er nestelte die Pistole aus dem Futteral des Obersten und nahm ihm das Buschmesser ab, das im Koppel steckte.
»Sehen Sie dort!« Pohland zeigte zum Ufer. Dort schimmerte aus dem hohen Gras eine runde, gefleckte Masse, weißgelb mit schwarzen Streifen.
Heidkamp riß die Maschinenpistole an die Schulter und feuerte sofort. Er sah die Schüsse einschlagen, aber die Masse rührte sich nicht.
»Er hat ihn im Sterben noch erlegt.« Pohland sah auf die schrecklich zugerichtete Leiche Nam Ngoi Phus. »Was er uns angedroht hat …« Er schwieg, griff in die Tasche, zog ein Taschentuch hervor und breitete es über das zerfetzte Gesicht des Obersten. »Der Tiger muß ihn ganz plötzlich angesprungen haben. Erst hat er zweimal zugeschlagen, ehe der Oberst mit letzter Verzweiflung und schreiend schießen konnte.«
Heidkamp ging bis zum Ufer und betrachtete den toten Tiger. Ein mächtiges, altes Tier; ein Einzelgänger, der alles riß, was lebendig war. Zwischen den Zähnen hatte er noch das blutige Brustfleisch des Obersten, an den Krallen der rechten Tatze klebten Haare und Knochensplitter.
Als Heidkamp zurückkam, saß Pohland neben dem Toten und hatte dessen Habseligkeiten vor sich ausgebreitet. Einen Ausweis, die goldene Zigarettendose mit den Rauschgiftzigaretten, eine Armbanduhr, einen Ring, eine Brieftasche, die leer war bis auf zwei Bilder. Sie zeigten eine schöne, junge Frau in der bis zu den Schenkeln geschlitzten Tracht der Vietnamesinnen. Auf der Rückseite war eine Widmung in der Landesschrift.
»Wir haben jetzt eine Maschinenpistole«, sagte Pohland und sah zu Heidkamp auf, »eine Pistole, ein Buschmesser, für jede Waffe fünfundzwanzig Schuß Reservemunition. Das muß genügen, um zu überleben.«
Heidkamp schwieg. Er wußte wie Pohland, wie aussichtslos ihre Lage war. Sie standen mitten im Dschungel, nach einem stundenlangen Marsch, und der einzige, der einen Weg zurück aus der grünen Hölle kannte, lag von einem Tiger zerrissen vor ihnen.
Der Ingenieur hakte das Magazin der Maschinenpistole aus und zählte die Patronen. »Noch zehn Schuß.«
»Wir haben also sechzig Schuß. Das sind sechzigmal Fleisch, wenn jeder Schuß trifft.«
»Und Wasser?«
»Wir müssen den Regen auffangen.«
»Und wohin sollen wir uns durchschlagen?«
»Nach Süden, ganz gleich, was uns in den Weg kommt … nach Süden.« Pohlands Gesicht war kantig und zu allem entschlossen. »Im Süden liegt unsere einzige Chance.«
Hans Heidkamp nahm die Uhr des Obersten von der Erde und hielt sie in die Sonne. Es war drei Uhr nachmittags. Nach dem Stand der Sonne berechnete er in etwa, wo Süden lag.
»Wir müßten den Flußlauf hinunter«, sagte er und band die Uhr um sein Handgelenk. Dann blickte er wieder auf Nam Ngoi Phu. »Und er …«
»Wir haben keine Möglichkeit, ihn zu begraben.«
»Steine aus dem Fluß.«
»Das wäre eine Lösung.«
Über eine Stunde schleppten sie Steine aus dem Fluß und schichteten sie um den Obersten, bauten ein Grab und warfen die Ritzen mit Erde zu, die sie mit den Händen zusammenkratzten. Dann saßen sie erschöpft neben dem Grabhügel, durstig und ausgedörrt, und schnappten nach Luft wie auf Land geworfene Fische.
Aus dem Schilf, nicht weit von ihnen, aber unbestimmbar, woher und wie nahe, klang plötzlich ein dumpfes, fauchendes Brüllen auf. Heidkamp drückte die Maschinenpistole an sich. Aus leeren Augen stierte er Pohland an, der in der Rechten die Pistole und in der Linken das scharfe Buschmesser umklammerte.
»Tiger«, sagte er tonlos. »Es wird dämmrig, da kommen sie zur Tränke.«
Sie saßen mit dem Rücken an den Grabhügel gelehnt, und warteten … schwer atmend, mit angstvoll zusammengebissenen Zähnen.
An einem Augusttag bekam Dr. Wehrmann unverhofften Besuch . In seiner Stadtpraxis erschienen Anna und Gotthelf Petermann.
»Bevor ihr den Mund aufmacht«, knurrte Dr. Wehrmann ahnungsvoll, »rate ich euch eins: Wenn ihr mir gesteht, daß Anna wieder ein Kind bekommt, macht euch aus dem Staub. Liebe
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