Geliebter, betrogener Mann
und Fruchtbarkeit sind etwas Schönes, aber bei euch wird's zum Verbrechen. Also – wollt ihr das sagen?«
»Nein.« Petermann nagte an der Unterlippe und sah seine Frau hilfesuchend an. »Im Gegenteil, Herr Doktor … es ist schon wegen Anna … aber anders herum …«
»Anders herum? Was soll der Quatsch.«
»Die Pillen wirken bei Anna so merkwürdig.«
Das war ein Geständnis, das Dr. Wehrmann mobilisierte. Er schickte seine Sprechstundenhilfe hinaus mit dem Auftrag, im Wartezimmer sagen zu lassen, daß es bis zum nächsten Patienten länger dauern würde. Wer morgen wiederkommen könnte, sollte gehen. Dann sah er Anna Petermann nachdenklich an und klopfte mit den Knöcheln auf die Schreibtischplatte. »Also, was ist? Wieso wirken die Pillen komisch auf Anna?«
»Sie ist nicht mehr so wie früher«, sagte Petermann.
»Was heißt das: Nicht wie früher?«
»Tja, wie soll ich das sagen?« Gotthelf Petermann sah seine Frau an. Wie sagt man so etwas, dachte er verzweifelt.
»Haben Sie Beschwerden?« fragte Dr. Wehrmann. Daß er sie plötzlich mit Sie ansprach, war ein Zeichen, daß er jetzt ganz Arzt war und nicht nur Vertrauter der Familie Petermann. »Übelkeit? Schwindelanfälle? Kopfschmerzen?«
»Nein … nur …«
»Läßt Ihr Interesse an der Liebe nach?«
»Das ist es, Herr Doktor!« rief Petermann wie befreit.
»Das also«, sagte Dr. Wehrmann nachdenklich. »Wie äußert sich das denn, Anna?«
Anna Petermann gab keine Antwort. Sie hatte ein Taschentuch vor das Gesicht gepreßt und weinte leise. Gotthelf Petermann scharrte mit den Schuhspitzen über den Teppich.
»Sie … sie empfindet nichts mehr …«, sagte er.
»Kaum … oder gar nichts?«
»Da müssen Sie Anna fragen.«
Dr. Wehrmann trat zu Anna und streichelte ihr über das zerwühlte Haar. »Nun sag doch mal die Wahrheit. Anna. Wir sind doch unter uns. Wenn dein Mann dich in den Arm nimmt … ist es nicht mehr wie früher?«
Anna Petermann schüttelte stumm den Kopf.
»Du empfindest nichts mehr dabei?«
Wieder das Kopfschütteln. Petermann schnaufte erregt, was ihm einen strafenden Blick Wehrmanns einbrachte.
»Seit wann ist es denn so?«
»Seit ein paar Wochen.« Petermann antwortete, nachdem sie vergeblich auf Annas Worte gewartet hatten. »Wie ein Holzklotz liegt sie da.«
»Das ist anschaulich.« Dr. Wehrmann setzte sich an seinen Schreibtisch und hob die Augenbrauen. »Da kann man nichts machen, ihr Lieben.«
»Wieso?« Petermanns Gesicht war ein einziges Erschrecken. Auch Annas Kopf zuckte herum.
»Anna gehört zu den fünf Prozent Frauen, bei denen die Pillen einen Verlust des sexuellen Gefühls auslösen.«
»Aber das ist doch schrecklich, Herr Doktor.«
»Bei Anna ist es das kleinere Übel. Ein siebtes Kind, das wißt ihr ja, bedeutet das Ende überhaupt.«
»Und … und es gibt keine Mittel, die doch …« Petermann schluckte.
»Nein. Nicht im Zusammenhang mit diesen Pillen.«
»Dann lassen wir die Pillen weg.«
»Und dann kommt das siebte Kind.«
»Aber es muß doch ein anderes Mittel geben!« rief Petermann verzweifelt. »Ein Kind darf sie nicht mehr haben, also nimmt sie die Pillen. Nimmt sie die Pillen, wird sie kalt wie 'ne Hundeschnauze.«
»Gotthelf!« sagte Anna strafend.
»Mein Gott, es ist doch so. Was soll ich denn machen? Soll ich mich von jetzt an hintern Ofen setzen? Ich bin doch kein alter Mann, und Anna ist erst dreißig. Wir können doch jetzt nicht mit dem Leben aufhören. Da muß es doch etwas geben.«
»Vernunft und Selbstbezwingung, wenn ihr's so wollt«, sagte Dr. Wehrmann mit saurer Miene. Petermann fuhr sich mit einer wilden Bewegung durch die Haare.
»Daß Sie so etwas Blödsinniges sagen, Herr Doktor!« rief er. »Sie wissen doch selbst, wie dumm das ist.«
»Natürlich«, antwortete Wehrmann ehrlich. »Aber es bleibt nichts mehr übrig.«
»Und da sagt man, die Medizin sei fortschrittlich!« rief Petermann. »Genau nichts weiß sie!«
»Von der Schädeldecke bis zur kleinen Zehe kennen wir den Menschen, innen und außen. Wir können Adern durch Kunststoffröhrchen ersetzen und können durch einen kleinen Schnitt im Frontalhirn eine völlig andere Persönlichkeit fabrizieren. Nur wenn es um den Geschlechtstrieb geht, stehen wir ein bißchen dumm herum. Wir können bremsen und anregen, wir können Geburten verhindern und fördern – aber wenn das eintritt, was jetzt bei Anna geschehen ist, da versagt unser Können. Wir haben es gewagt, die Natur zu betrügen, nun schlägt sie
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