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Geliebter, betrogener Mann

Geliebter, betrogener Mann

Titel: Geliebter, betrogener Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den weißgedeckten, mit Tannengirlanden verzierten Tischen, zwischen ihnen die Schwestern und die Stationsärzte. Die Kinder wurden in den Zimmern versorgt. Von der sogenannten ›geschlossenen Abteilung‹ war niemand zu sehen. Im Speisesaal saßen nur die harmlosen Patienten, die Alkoholiker und Morphinisten, die hier ihre Entziehungskur machten; die leichten Manisch-Depressiven, die harmlosen Schizophreniker, die Kranken mit Komplexen. Dr. Dornburg, unter dem weißen Arztmantel einen schwarzen Anzug mit hellgrauem, feierlichem Schlips tragend, setzte sich wieder. Er war gerade auf dem Weg zum Essen.
    »Lassen Sie bitte anfangen, Schwester«, sagte er zu dem Mädchen, das die Pohlands hereingeführt hatte. »Ich lasse mich entschuldigen. Ich komme später.« Er wartete, bis die Schwester das Zimmer verlassen hatte, und nahm dann vor Michael und Gerda in einem der Sessel Platz. »Das ist eine Überraschung, ehrlich. Wie sind Sie bloß durchgekommen? Ich denke, wir sind wieder abgeschnitten?«
    »Es war eine grausame Wanderung.« Gerda Pohland wischte sich mit einem Taschentuch Michaels die in der Wärme des Raumes auftauenden Eiskristalle aus dem Gesicht. »Aber wir wollten Weihnachten bei Tutti sein. Mein Mann wollte es so.« Dr. Dornburg sah schnell zu Pohland und dann zurück auf die Tischplatte zwischen ihnen. »Was macht sie, Doktor?«
    »Sie wird gerade gefüttert.« Es klang grausam. Man hätte auch sagen können: Sie bekommt jetzt ihr Essen. Aber Dr. Dornburg liebte es nicht, etwas zu beschönigen. Theodora wurde gefüttert wie ein Säugling oder wie ein Tierbaby, Löffel um Löffel, neben der Schwester sitzend, den schmalen Mund aufreißend, wenn sich der Löffel ihr näherte, und schmatzend schluckend, wenn sich die Lippen wieder schlossen wie zwei winzige Schleusentore. Nur die Augen blickten freudig.
    »Wie hat sie den Besuch aufgenommen?« fragte Pohland.
    »Sie war etwas unruhig, späterhin. Aber dann ging es ganz gut. Sie fragte sogar, wer Sie seien.«
    »Sie fragte …?« Pohland sah Dr. Dornburg verständnislos an. Der Arzt nickte mehrmals.
    »Ich sagte Ihnen ja schon: Dieses Kind ist auch für uns Psychiater ein Phänomen. Alles, was es an Monstrositas geben kann, hat es mitbekommen, aber das Hirn arbeitet normal, was reine Denkfunktionen betrifft. Es ist nicht bildungsunfähig, im Gegenteil, es begreift leicht. Ein Vorgang, der sonst unmöglich ist. Es kann nicht sprechen, aber es kann hören. Und mit der rechten Hand kann es sogar schreiben. Schwester Lieselotte hat Theodora in mühsamer Arbeit das Schreiben gelehrt. Und malen kann es, schön malen sogar. Es ist, als ob das Kind alle Schönheit der Natur, die man ihm nicht gegeben hat, nun auf das Papier wirft. Ich werde Ihnen nachher einige dieser Bilder zeigen.« Dr. Dornburg sah auf seine Armbanduhr. »Das Mittagessen wird noch eine halbe Stunde dauern. Es ist besser, wenn wir da das Kind nicht stören. Darf ich Sie zu unserer Feiertagstafel einladen? Es gibt Gänsebraten mit Thüringer Klößen und Apfelmus.«
    Pohland nickte und sah Gerda an. »Wenn wir nicht stören.«
    »Wir möchten Ihnen gar keine Umstände …«
    Dr. Dornburg winkte ab. »Aber ich bitte Sie. Wir werden uns unter die anderen setzen. Es wird übrigens für Sie interessant sein, Herr Pohland. Unter meinen Patienten ist auch ein Generaldirektor von der Ruhr.«
    »Dann ist es besser, wir bleiben hier und warten. Ich bin sicher, daß ich den Herrn kenne, und es wäre peinlich …«
    »Entziehungskur. Hat haufenweise Pervitin geschluckt.« Dr. Dornburg schüttelte den Kopf, als Pohland etwas sagen wollte. »Keine Sorge, ich verletze damit nicht meine ärztliche Diskretion. Der Herr empfängt laufend Besuche. Man betrachtet diese Pillenschluckerei nicht als verwerflich, sondern als Berufsopfer. Ich wette, daß er Sie mit Freuden begrüßen wird.«
    Im Speisesaal blickte man sich kurz um, als Dr. Dornburg mit den beiden Gästen eintrat. Es herrschte die Atmosphäre eines gut geleiteten Hotels. Ein heller Saal mit großen Blumenfenstern zum Park hinaus. Vierer- und Sechsertische. Weißgekleidete Mädchen, die bedienten. Ein Büfett an der Längswand des Saales. Gedämpfte Unterhaltung, feierlich angezogene Gäste – die Herren im dunklen Anzug, die Damen mit Pelzen um den Schultern, mit Schmuck und modischen Frisuren. Nur die Hauben der Schwestern und die Ärztekittel, die zwischen diesen betont zurückhaltenden Gästen saßen, weiße, leere Flecke inmitten eines zur Schau

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