Geliebter, betrogener Mann
gestellten Glanzes, verrieten die wirkliche Situation in dem üppigen Speisesaal.
An einem Vierertisch sprang ein großer, schwerer Herr auf und wedelte mit seiner Serviette durch die Luft. Sein dickes, rotes Gesicht glänzte vor Freude. Er trug einen Smoking mit einem Plisseehemd darunter.
»Pohland!« rief er durch den Saal. »Mensch, Pohland, Sie auch hier? Und wir hatten gewettet, daß Sie der einzige sind, der von Natur die Nerven hat, nicht an Gewerkschaftsforderungen verrückt zu werden! Kommen Sie her, kommen Sie her …«
»Dr. Barnulf«, erklärte Pohland leise. »Von den Vereinigten Stahlwerken.« Er winkte etwas gehemmt zurück. Dr. Dornburg lachte.
»Sehen Sie, er hält Sie für einen neuen Patienten. Wir setzen uns zu ihm.«
Dr. Dornburg faßte Gerda unter und nickte nach allen Seiten. »Einen recht guten Appetit, meine Damen und Herren«, rief er.
Man nickte ihm zu, beifällig, hochmütig, distinguiert, je nach Auffassung und dem Bewußtsein, wer man war. Eine Dame klatschte in die Hände. An ihren Fingern blitzten dabei eine Reihe von Brillanten auf. Es war ein rhythmisches, forderndes Klatschen.
»Katharina die Große«, flüsterte Dr. Dornburg Gerda ins Ohr, während sie zum Tisch von Generaldirektor Dr. Barnulf gingen. »Sie bildet sich ein, die russische Kaiserin zu sein. Ihr Mann ist steinreich, Import-Export. Sie läßt sich mit Majestät anreden – aber sonst ist sie völlig harmlos und die ruhigste und angenehmste Patientin.«
Auf großen Platten wurde der Gänsebraten hereingetragen …
Theodora saß wieder mitten im Zimmer auf der Decke und zeich nete. Sie hatte die Beine gespreizt, den Zeichenblock dazwischen geschoben und hockte nach vorn gebeugt. Von der Seite sah es aus, als schlafe ein riesiges Insekt, von hinten machte sie den Eindruck einer Mammutschildkröte. Den unförmigen Kopf hatte sie dabei tief in die Schultern eingezogen. Der Zeichenstift, festgeklemmt in den formlosen Fingern, wischte über das Papier. Aber was er auf dem Block entstehen ließ, war alles andere als sinnloses Gekritzel. Keine Kreise und Striche, Winkel und Wellenlinien … es war, als streiche eine unsichtbare Hand über das Papier, und dort, wo sie darübergeglitten war, erblühten Blumen von ergreifender Schönheit.
Da war ein Garten, und in diesem Zaubergarten leuchteten Blüten wie in einem tropischen Wald. Auch wenn es nur eine Bleistiftzeichnung war … man sah sie blühen, man roch den Duft, man konnte sagen: welche Farbenpracht. Inmitten dieser riesigen Blüten stand ein Mensch, ganz klein, winzig, erdrückt von den Pflanzen, gefangen in den Stengeln und Blättern. Ein Mensch in völliger Nichtigkeit vor soviel Schönheit, eine Wanze fast, eine Blattlaus, unsinnig in diesem Zaubergarten, der ganz dem Blühen gehörte. Er stand da wie ein deformierter Erdkrümel, verloren, weggeweht, ängstlich und sich seiner völligen Nichtigkeit bewußt. Und er sah empor zu den riesigen Blüten, mit aufgerissenem Mund, als wolle er vor Einsamkeit schreien oder sich bloß sprachlos wundern. Ein Mensch mit einem dicken Kopf und spinnendünnen Beinchen, ein Zwerginsekt, eine Beleidigung des zauberhaften Blumengartens.
Dr. Dornburg blieb vor der Tür stehen und zögerte. Das Mittagessen war turbulent verlaufen. Generaldirektor Dr. Barnulf hatte, nachdem er erfahren hatte, daß Pohland und seine Frau nicht als Patienten gekommen waren, durchaus keine peinliche Situation aufkommen lassen. Im Gegenteil, er berichtete ungeniert von seinem Leiden. Es hatte damit begonnen, daß er beim Militär als Kriegsverwaltungsrat in Frankreich sich dem Suff ergeben mußte. Er sagte ›mußte‹ und dokumentierte damit die Tragik, Opfer eines Berufes und einer Landschaft geworden zu sein. Und später, als er nicht mehr trinken durfte aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung, wich er aus auf Pervitin, um sich dauernd aufzuputschen. »Vor allem die Gewerkschaften, Pohland«, sagte er seufzend, »die haben meine Nerven unterhöhlt. 45-Stunden-Woche, 42-Stunden-Woche, Lohnerhöhungen, bezahlter Urlaub, Urlaubsausgleich, voll bezahlter Ausfall bei Krankheit, wieder Lohnerhöhungen, neue Ecklöhne, Ankündigung der 35-Stunden- Woche … und dann jedesmal das große Geschrei, wenn wir diese sinnlosen Erhöhungen nur auffangen können durch Preissteigerungen, und das auch nur, bis das Ende kommt und wir nicht mehr auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Diese schleichende Inflation, dieser Selbstmord unter dem Motto des
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