Geliebter, betrogener Mann
Sekunde noch einmal die Gestalt Gerdas an der Absperrung. Sie winkte mit beiden Armen, ihr blonder Kopf glänzte in der Morgensonne wie aufblitzendes Gold – dann glitt die Betonpiste unter ihm weg, die Erde verlor sich. Er starrte jetzt in den näherkommenden Himmel und die Wolken, die wie riesige Wattebäusche auf ihn zuschossen.
Dr. Corbeck neben ihm las bereits die Morgenzeitung. Zuerst die Börsennotierungen, dann den Sport. Die Politik auf der ersten Seite las er zuletzt. »Man ärgert sich noch früh genug«, sagte er dazu. Dr. Corbeck flog nur bis Dakar mit. Von dort kehrte er, sobald der Vertrag abgeschlossen war, nach Ebenhagen zurück, um Pohland zu vertreten und die Werke zu leiten.
Die vergangenen Wochen waren für Pohland eine große seelische Qual gewesen. Die Liebe Gerdas schlug über ihm zusammen wie ein sturmgepeitschtes Meer, und er ließ sich mitreißen, er ertrank fast in dieser Sturmflut von Zärtlichkeit – und dann lag er bis zum Morgen wach neben ihr, starrte an die Decke und bekämpfte in sich den häßlichen Gedanken: Alles ist nur Betrug, ist nur Theater, eine widerliche Komödie; das Spiel von der Geliebten, die Hingabe heuchelt. Aber dann sah er sie an, bestaunte ihr glückliches Lächeln im Schlaf, streichelte ihren weißen, weichen Körper und legte seinen Kopf zwischen ihre Brüste. Er spürte den Schlag ihres Herzens, die Wärme ihres Lebens, das herrliche Glück, ihm zu gehören. Und er umfing sie wieder, weckte sie mit seinen Küssen und seinen kosenden Händen und ließ den Sturm wieder über sich hinweggehen, heiß, den Atem raubend und höchstes Glück spendend.
Am Tage war er dann nachdenklich und verschlossen, unausgeschlafen und knurrig. Man wertete das im Betrieb und auch auf Gut Heidfeld als Reisefieber und ging ihm aus dem Weg, so gut man das konnte. Auch Gotthelf Petermann sprach ihn nur kurz. Er hatte seine eigenen Sorgen. Seit einigen Wochen zeigte sich nämlich bei Anna eine erstaunliche Wandlung. Sie war kühler geworden, und es konnte vorkommen, daß Gotthelf Petermann zärtlich wurde und Anna – was sie nie getan hatte – stocksteif neben ihm lag, seine Liebe zwar duldete, aber sonst unbeteiligt war, als empfinde sie keinerlei Glück. Wenn Petermann darüber seine Verwunderung äußerte, sagte sie bloß: »Ich kann nichts dafür, mir ist heute gar nicht danach.« Dann wieder, plötzlich wie ein Orkan, war sie es, die Petermann um den Verstand brachte und ihn schweratmend zu der Bemerkung hinriß: »… und so was nach sechs Kindern …«
Das alles mußte mit den Pillen zusammenhängen, eine andere Erklärung hatte Petermann nicht. Dr. Wehrmann, der sich das alles anhörte, nickte zustimmend. »Es ist bekannt, daß einige Frauen nach diesen Pillen etwas frigid werden«, sagte er. »Die Libido stellt sich um. Sie kann sich auch verstärken.«
Gotthelf Petermann merkte sich die Worte und schlug sie im Lexikon nach. »Und das alles«, sagte er nach dieser Information, »durch 'ne kleene Pille!«
Die rote Leuchtschrift über der Tür erlosch. Die Stewardeß kam mit einem Tablett Erfrischungen. Dr. Corbeck schnallte sich los und schlug die Sportseite auf. Michael Pohland sah auf die Wolkendecke unter sich; ein brodelndes Meer aus Schaum, so wirkte es.
»Ein Funkspruch, Herr Pohland«, sagte die Stewardeß und überreichte ihm einen zusammengefalteten Zettel.
»Für mich?«
»Ja. Ist soeben aufgenommen worden. Vom Flughafen Lohhausen.«
Pohland faltete das Papier auseinander. Es war nur eine Zeile.
›ich liebe dich + + + gerda‹
Pohland steckte den Zettel in seine Rocktasche und starrte wieder aus dem Fenster. Dr. Corbeck schielte zu ihm herüber. Die Stewardeß kehrte mit dem Erfrischungstablett zurück.
»Soll eine Antwort durchgegeben werden?« fragte sie.
»Nein.«
»Eine Erfrischung?« – »Einen Kognak, bitte.«
Mit rauschenden Motoren jagte die Maschine bereits über Frankreich, Paris entgegen.
Vier Tage nach dem Abflug Michaels fuhr Gerda Pohland wieder nach Oberholzen, um Tutti zu besuchen.
Aber nicht allein ihres Kindes wegen fuhr sie dorthin; es kam hinzu, daß sie seit zwei Wochen ein merkwürdiges Unwohlsein verspürte. Michael hatte sie nichts davon erzählt, um ihn nicht zu erschrecken. Er sollte seine große Reise nicht mit neuen Sorgen antreten. Sie hatte diät gegessen, auf alles Fette verzichtet, und wirklich ließ das Unwohlsein nach. Eine Magenverstimmung, dachte sie. Weiter nichts. Aber dann kam es wieder, stärker als zuvor,
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