Geliebter, betrogener Mann
nie von ihr trennen.«
Ernst Ludwig hob stumm beide Arme. Pohland nickte schwer.
»Genau das denke ich auch, Vater. Ich beneide jeden meiner Arbeiter, der nach Hause kommt und seine Kinder laufen ihm entgegen. Es muß herrlich sein, an einem Tisch zu sitzen und sagen zu können: Das ist meine Familie. Ich werde es nie sagen können …«
Ernst Ludwig saß noch lange stumm vor seinem Rotwein, als Pohland längst gegangen war. Der letzte Satz seines Schwiegersohnes hatte ihn mehr erschüttert, als er nach außen hin zeigte.
Die Pohland-Werke ohne Erben. Die Arbeit von Generationen vertan. Und es lag ganz allein an Gerda, dies zu verhindern.
Aber auch Ludwig wußte keinen Ausweg. Er kannte seine Tochter.
Die Vorbereitungen für die große Reise waren abgeschlossen. Das letzte Ereignis war die Wiederholung der erforderlichen Impfungen, der Abschluß der wochenlangen medizinischen Vorbereitungen.
Dazu hatte Dr. Wehrmann alle beteiligten Herren zu einer Party bei sich eingeladen. Auf Wunsch Pohlands waren alle Ingenieure und Techniker und natürlich auch Dr. Corbeck dabei. Es war eine Massenimpfung, die Wehrmann zum Anlaß einer Männersauferei nahm.
Morgens um neun Uhr begann das Impfen, nachts um zwei Uhr kehrten die Herren zu ihren vor Sorge und Angst nicht schlafenden Frauen zurück, singend, schwankend und mit dramatischen Schilderungen von der Durchschlagskraft tropischer Seren.
Diese Massenimpfung wurde in die Chronik der Pohland-Werke aufgenommen, vor allem das Duell zwischen dem Dipl.-Ing. Dr. Falz und Dr. Wehrmann. Dr. Falz hatte sich nach der dritten Injektion geweigert, weitere Spritzen anzunehmen. Da begann eine Jagd der bereits alkoholisierten Männer durch die Räume Dr. Wehrmanns. Dr. Falz rannte davon, der Arzt mit der Spritze hinter ihm her, bis zwei Mann Dr. Falz festhielten und ihn unter Absingen studentischer Lieder für die letzte Injektion bereitlegten.
Drei Wochen vor der Abfahrt rief Gerda Pohland bei Dr. Wehrmann an.
»Ich brauche ein neues Dauerrezept, Doktor«, sagte sie. »Das alte ist so voller Stempel der Apotheken, daß nichts mehr darauf geht. Schicken Sie mir ein neues Rezept herüber?«
»Ich komme selbst, gnädige Frau. Ich muß ein paar Patienten besuchen und den Dechanten.«
»Ist der auch krank?«
»Der? Das ist eine Eiche, aus der man einen Schiffsmast machen könnte. Aber sein Neffe macht ihm Sorge. Und ich hatte versprochen, ihn unter meine Fittiche zu nehmen. Also bis morgen!«
Am nächsten Tag erwartete Gerda Dr. Wehrmann in ihrem Rokokosalon. Michael Pohland war in Ebenhagen. Die Besprechungen rissen nicht ab, vor allem die Bonner Herren belegten jede freie Minute, um den großen Industrieplan auch bis ins letzte mit deutscher Beamtengründlichkeit zu durchtränken. Erst spät abends kam Pohland nach Heidfeld zurück. Oft mußte er sogar in Ebenhagen bleiben, weil die Verhandlungen bis in die Nacht hinein gingen.
»In drei Wochen, Doktor, ist es also soweit«, sagte Gerda und goß Dr. Wehrmann eine Tasse starken Tee ein. »Ich habe Angst.«
»Völlig unbegründet. Krank werden kann Ihr Micha nicht; der läuft wie ein Eimer voll Gegengift herum. Und andere Gefahren? Ich bitte Sie! Abenteuer solcher Art, an die Sie denken, gibt's nur in Romanen.«
Gerda lächelte schwach. »Ich will ja auch tapfer sein. Ich habe die Frauen aller mitreisenden Herren für den Tag nach der Abreise zu mir eingeladen.«
»Großes, gemeinsames Klagen!« Dr. Wehrmann lachte. »Sie haben einen gewissen Sinn für Dramatik, Gerda. Hoffentlich rufen Sie mich nicht dazu. Ich kann nicht schwimmen, und in einem Tränenmeer schon gar nicht.«
Er griff in die Tasche und legte eine neue Packung Anovlar und ein Rezept auf den Tisch.
»So … auf ein Neues! Bis zur Abreise Michaels reicht diese Packung.«
»Und während er fort ist?« Gerda steckte die Schachtel schnell in ihre Handtasche. »Soll ich die Dragees weiter nehmen?«
»Natürlich. Nach dem zweiten Zyklus können Sie dann einen Monat aussetzen. Diese Reise ist eine gute Gelegenheit, dem betrogenen Körper etwas Ruhe zu gönnen. Bevor Michael dann zurückkommt, fangen Sie wieder damit an.«
»Danke, Doktor. Wenn ich Sie nicht hätte.«
Dr. Wehrmann trank in kleinen Zügen seinen Tee. Er hatte eine merkwürdige Eile, wegzukommen und sich vor allem nicht länger mit Gerda Pohland zu unterhalten. Ihre fast kindliche Dankbarkeit griff ihn plötzlich ungemein an. Beim Abschied zwang er sich, sie unbefangen und frei anzusehen, dann eilte
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