Geliebter der Nacht
Dennoch konnte Lexi sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der kleine Kobold reichlich niedergeschlagen war. Tja, was immer ihn traurig stimmte, es war nicht ihr Problem. Sie musste nur dafür sorgen, dass er wieder hinter Schloss und Riegel kam.
Darius und sie kamen aus zwei unterschiedlichen Richtungen auf ihn zu und hofften, ihn so überrumpeln zu können, ehe er auch nur begriff, wie ihm geschah. Leider war Lexi noch über einen Meter von ihm entfernt, als der Kobold in Bewegung kam und sich auf seinen Stuhl stellte.
»Freunde!«, rief er und hob sein Glas. »Das Ende ist nah, also trinkt noch eine Runde mit …«
Mitten im Satz verstummte er, weil er Lexi sah, die sich ihm näherte. Dem panischen Ausdruck nach zu urteilen, witterte er sofort Gefahr und würde nun versuchen, zu fliehen.
Lexi sprang im selben Moment vor, in dem der Kobold von seinem Stuhl hüpfte und zur Hintertür rannte. Er war genauso schnell, wie es alle Legenden von Kobolden behaupteten, und bis Lexi und Darius an der Tür ankamen, war er bereits den Flur hinunter verschwunden.
Sie sahen sich an, wussten aber beide nicht, wo sie anfangen sollten, nach dem Mann zu suchen. Dann aber nahm Lexi den Gestank
von Whiskey wahr.
»Hier lang«, flüsterte sie und folgte der Duftspur. Es gingen mehrere Türen vom Flur ab, doch nur in der Nähe der letzten Tür rechts war der Geruch stark genug, also ging sie hinein.
Der Kobold war tatsächlich da. Japsend stand er im Zimmer und wartete, ob sie ihn fanden. Dass sie ihn entdeckt hatten, brachte ihn allerdings so durcheinander, dass er begann, vollkommen desorientiert im Kreis herumzulaufen.
Plötzlich stoppte er, warf den beiden ein verschlagenes Grinsen zu und raste direkt auf die Wand los.
»Halt ihn auf!«, schrie Lexi. »Wenn er da durchgeht, fangen wir ihn nie.«
Lexi und Darius stürzten sich gleichzeitig mit ausgestreckten Armen auf ihn. Doch noch ehe sie bei ihm waren, schlug er mit einem unschönen Aufprall gegen die Wand und knallte rücklings auf den Boden wie ein gefällter Baum.
Lexi betrachtete den regungslosen Körper. »Ich schätze, er war zu besoffen, um sich durch die Mauer zu zaubern.« Sie trat vor und nahm die Handschellen von ihrem Gürtel. Dann beugte sie sich über ihn, um ihm die Hände zu fesseln.
Binnen nicht einmal einer Sekunde aber rollte sich der Kobold zur Seite, sprang auf und raste erneut auf die Wand zu.
Diesmal verschwand er durch sie hindurch und ließ lediglich einen einsamen Schuh zurück.
»Verdammt!«, fluchte Lexi und klickte die Handschellen wieder an ihren Gürtel.
»Übler kleiner Teufel, was?« Darius klang amüsiert. »Willst du immer noch hinter ihm her?«
»Ja, verflucht!«, antwortete Lexi und bückte sich nach dem Schuh.
»Dann sollten wir uns beeilen«, sagte Darius, der bereits in der offenen Tür stand. »Hier hinten kommen wir raus.« Er zeigte auf die Hintertür.
Lexi eilte ihm den Flur hinunter und zum Notausgang nach.
Draußen in der Seitengasse blieben beide stehen und blickten sich um. Natürlich war nirgends etwas zu entdecken. Lexi lauschte angestrengt, hörte allerdings nichts als lautes Gehupe und das dröhnende Rumpeln der Busse auf der Hauptstraße.
Sie schritt die rückwärtige Mauer der Kneipe bis zu der Stelle ab, wo der Kobold sie durchdrungen haben musste. »Was denkst du?«
Darius kam zu ihr und beugte sich vor, um das Mauerwerk genauer zu inspizieren. Er berührte eine Stelle und legte dann mehrmals Daumen und Zeigefinger zusammen, als hätte der Kobold eine klebrige Substanz auf dem Stein hinterlassen, die er nun an den Fingern hatte. Dann nickte er.
»Das ist die Stelle.«
Lexi hielt sich den Schuh vors Gesicht und schnüffelte darin. Sie merkte sich den Geruch, zog sich ihre Sachen aus und reichte alles Darius, dessen Verblüffung sie überhaupt nicht beachtete. »Versuch, mit mir mitzuhalten!«, sagte sie und verwandelte sich in eine Wölfin.
Schlagartig änderte sich ihre Wahrnehmung. Alle Konturen wurden schärfer, alle Gerüche intensiver und alle Geräusche lauter. So war es jedes Mal, wenn sie Wolfsgestalt annahm, und sie genoss es, um wie viel besser ihre Sinne funktionierten.
Noch einmal schnüffelte sie an der Mauer, wo sie nun deutlich den Koboldgeruch erkannte. Dann warf sie Darius einen kurzen Blick zu und lief los.
Sie rannte die Gasse hinunter, musste allerdings an der Einmündung zur Hauptstraße stehen bleiben. Der Abgasgestank übertraf kurzzeitig den Geruch der Koboldspur, und in
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