Geliebter Freibeuter
der Wasserfälle hinauf. Es war wie verhext! In den letzten Wochen war er wirklich vom Pech verfolgt. Den dilettantischen Aufstand der Sklaven auf seiner Pflanzung hatte er binnen kurzer Zeit niedergeschlagen, die Verantwortlichen auspeitschen und in Ketten legen lassen. Was bildeten sich diese dummen Schwarzen eigentlich ein? Meinten, sich zusammenrotten und drei Aufseher als Geiseln nehmen zu können, um ihre Freiheit zu erpressen. Ha! Aufgebracht hieb Morgan mit der Reitpeitsche auf einen am Wegrand stehenden Busch. Die Sklaven sollten froh sein, dass sie regelmäßig zu essen bekamen, aber wahrscheinlich war er viel zu gutmütig zu ihnen gewesen. Das würde sich jetzt jedoch ändern. Er hatte befohlen, die Essenrationen so lange zu halbieren und im Gegenzug dazu die Arbeitsstunden zu erhöhen, bis auch dem Letzten dieser Aufständischen jeglicher Gedanke an Rebellion vergangen war. Als das erledigt war und Morgan beschlossen hatte, nach Hause zurückzureiten, erreichte ihn diese seltsame Botschaft. Morgan blieb stehen und zog das Blatt Papier aus seiner Rocktasche. Doch so oft er es auch las – die Worte blieben immer dieselben:
David, Flynn hat mich in den Norden gebracht. Er will dich sprechen. Heute Nachmittag, auf dem Plateau der Wasserfälle. Komm allein, sonst tötet er mich.
Eloise Gilbert
Dieser Zettel war heute Morgen auf dem Fußboden seines Zimmers gelegen, offenbar hatte ihn jemand in der Nacht unter der Tür durchgeschoben. Zuerst hatte Morgan den Wisch in der Hand zerknüllt und in eine Ecke geworfen, doch dann hatte er ihn wieder aufgenommen und die wenigen Zeilen erneut gelesen. Morgan hatte keinen Zweifel – es handelte sich eindeutig um Eloises Handschrift. Wie konnte es nur sein, dass seine Braut sich schon wieder in der Gewalt des Piraten befand? Dark Flynn saß doch unter strengster Bewachung im Gefängnis von Kingston, und der Großteil seiner Mannschaft lag ebenfalls in Ketten oder war tot. Wie in drei Teufels Namen war es diesem Schurken gelungen, auszubrechen? Und warum war er, Morgan, darüber nicht längst informiert worden?
Nach all den Ereignissen der letzten Zeit hatte Morgan nicht übel Lust, die Nachricht zu ignorieren und einfach nach Kingston zu reiten. Was zu viel war, war eindeutig zu viel! Sollte der Pirat mit Eloise doch machen, was er wollte! Nicht zum ersten Mal verfluchte David Morgan den Tag, an dem er die Gilberts in Cornwall besucht und sich entschlossen hatte, Eloise zu seiner Frau zu machen.
Die Sonne brannte heiß und erbarmungslos von einem wolkenlosen Himmel. Morgan rann der Schweiß übers Gesicht, denn der Aufstieg wurde immer beschwerlicher. Er war Eloises Wunsch gefolgt und allein zu den Wasserfällen gegangen, hatte niemanden über die Nachricht informiert oderzu seinem Schutz mitgenommen. Einerseits glaubte er an einen Scherz – auch wenn es so aussah, als wären die Worte von Eloises Hand geschrieben worden –, und er würde sich wieder einmal unsäglich blamieren, wenn er um Hilfe bat. Auf der anderen Seite hoffte Morgan jedoch – so unwahrscheinlich es auch war –, es wäre kein Scherz und er würde wirklich Dark Flynn gegenüberstehen. In diesem Fall war er fest entschlossen, den Piraten zu erledigen. Ein Kampf – Mann gegen Mann –, und Morgan zweifelte nicht daran, wer als Sieger hervorgehen würde. Gut, Eloise befand sich in seiner Gewalt, und Flynn hatte sicher immer noch Helfershelfer, aber darauf würde Morgan keine Rücksicht mehr nehmen. Es war ihm herzlich gleichgültig, was mit seiner Braut geschah – Hauptsache, diese leidige Angelegenheit wäre ein für alle Mal erledigt. Da Dark Flynn offenbar aus dem Gefängnis entkommen war, war dies eindeutig dem Versagen Trelawnys zuzuschreiben, und dies kam Morgans Plänen sehr entgegen.
Endlich hatte er das Plateau erreicht und sah sich suchend um. Der Lärm des Wassers, das nur wenige Meter neben ihm in die Tiefe stürzte, dröhnte in Morgans Ohren und überdeckte alle anderen Geräusche, aber plötzlich teilten sich die Büsche, und zu Morgans großer Überraschung trat Eloise hervor. Instinktiv machte er einen Schritt auf sie zu, aber Eloise hob die Hand und rief: »Komm nicht näher, David!«
Mit einer Handbewegung gab sie ihm zu verstehen, er möge ihr folgen, und sie entfernten sich ein Stück von dem Plateau, bis der Geräuschpegel geringer wurde und sie miteinander sprechen konnten, ohne schreien zu müssen.
»Was ist geschehen?« Morgans Augen suchten rasch die Umgebung ab.
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