Geliebter Fremder
durchfuhr sie.
Beinahe ein Uhr … Hunter hatte die Zeit gut gewählt. Die Gäste unterhielten sich blendend und ihre Abwesenheit würde kaum auffallen. Diskret zog sie sich von einem Gespräch zurück und schlüpfte aus dem Ballsaal.
Als die Standuhr in der oberen Halle ein Uhr schlug, war Lara gerade in ihrem Zimmer angekommen. Es gelang ihr, sich allein auszuziehen, und sie ließ ihr Kleid zu Boden fallen. Nachdem auch Unterwäsche und Strümpfe auf diesem Haufen gelandet waren, öffnete Lara den Schrank und suchte nach dem schwarzen Negligee. Wie ein leichter Hauch glitt es über ihren Körper.
Ihre Finger zitterten, als sie die Perlen aus ihrem Haar herauszog und den Zopf löste. Sie fuhr mit einer Bürste durch die lockigen Flechten, bis sie wieder glatt waren, und betrachtete sich prüfend im Spiegel des Schminktisches. Ihre Augen waren riesengroß und ihre Haut war blutleer. Sie kniff sich in die Wangen, damit sie wieder Farbe bekamen, und holte so tief Luft, dass ihre Lungen schmerzten.
Es würde nicht so schrecklich sein wie früher, dachte sie. Sie glaubte, dass Hunter, trotz seines Zorns, sich bemühen würde, sanft zu sein, und sie würde so entgegenkommend wie möglich sein, in der Hoffnung, dass es dann schnell vorbei wäre. Dann würde es vorüber sein und ab morgen früh würde alles wieder seinen gewohnten Gang gehen. Mit diesem tröstlichen Gedanken verließ sie ihr Zimmer und ging auf bloßen Füßen rasch zu seinem Schlafzimmer am anderen Ende des Flurs.
Nervös betrat Lara Hunters Zimmer, ohne anzuklopfen. Die Lampe war heruntergedreht und lediglich das riesige Bett lag in einem warmen Lichtschein. Hunter hockte, immer noch in seinem Abendanzug, auf der Bettkante. Er saß ganz still, als sie auf ihn zutrat, nur seine Augen nahmen alles auf: ihre bloßen Füße, die runden Brüste, kaum verhüllt von der schwarzen Spitze, ihr langes, offenes Haar.
»Lara«, murmelte er und berührte eine Strähne ihres Haars mit unsicheren Fingern, »du siehst aus wie ein Engel in Schwarz.«
Sie schüttelte den Kopf. »Was ich heute Abend getan habe, hat bewiesen, dass ich keineswegs ein Engel bin.«
Er widersprach ihr nicht.
Als Lara bemerkte, dass sein Zorn verraucht war, brachte sie vorsichtig ihre Entschuldigung vor. »Mylord, wegen Lady Carlysle …«
»Lass uns nicht von ihr sprechen. Sie bedeutet mir nichts.«
»Ja, aber ich …«
»Es ist schon gut, Lara.« Er ließ ihre Haare los und berührte ihren Hals. »Liebes … geh zurück in dein Zimmer.«
Erstaunt starrte Lara ihn an.
»Es ist nicht, weil ich dich nicht begehre«, sagte Hunter und stand auf, um seine Jacke auszuziehen. Er hängte ihr das Kleidungsstück um die Schultern und knöpfte es zu. »Eigentlich ist dein Anblick in diesem Negligee mehr, als ich ertragen kann.«
»Aber … warum dann?«, fragte sie verwirrt.
»Weil ich heute Abend gemerkt habe, dass ich keine Spiele spielen und deinen Körper als Preis nehmen kann. Ich dachte, ich könnte es, aber …« Er brach ab und lachte spöttisch auf. »Möglicherweise habe ich Skrupel, von denen ich nichts geahnt habe.«
»Ich möchte den Handel aber erfüllen …«
»Ich will nicht, dass du denkst, du schuldest mir etwas. Das tust du nicht.«
»Doch, das tue ich.«
»Verdammt noch mal, ich will dich nicht unter Zwang. Also … geh zurück in dein Zimmer. Und verschließ die Tür.«
Es war wie eine Enthüllung. Weil Laras erstaunter Blick ihn verlegen machte, wandte Hunter sich ab und setzte sich wieder auf die Bettkante. Mit einer unwirschen Geste bedeutete er ihr, zu gehen.
Lara rührte sich nicht. Ein neues Gefühl von Vertrauen durchströmte sie, als ihr klar wurde, dass er sie nie wieder zwingen wollte, ganz gleich wie die Umstände waren oder wie sehr er sie begehrte. Sie hatte immer ein wenig Angst vor Hunter gehabt, vor seiner herrschsüchtigen Art, aber irgendwie hatte er die Regeln zwischen ihnen jetzt geändert…
Sie kam sich so vor, als stünde sie vor einem Abgrund, in dem atemlosen Augenblick kurz vor dem Sprung.
Es wäre leicht, sein Angebot anzunehmen. Lara blickte in das ausdruckslose Gesicht ihres Mannes. Wie er neulich gesagt hatte: Sie hatte auch schon andere Nächte mit ihm überlebt. Schlimmer konnte es gewiss nicht werden.
Vielleicht würde es sogar sehr viel besser werden. Zögernd knöpfte sie die Jacke wieder auf und ließ sie von ihren Schultern gleiten. Dann trat sie zu ihrem Mann.
»Ich möchte bei dir bleiben«, sagte sie.
Als er
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