Geliebter Fremder
hätte, sich einzumischen.
Wie wenig das Leben einer Frau doch in manchen Kulturen galt – selbst in England, das doch angeblich so modern und aufgeklärt war. Hunter hatte Laras Behauptung, vor dem englischen Gesetz sei die Frau das Besitztum des Mannes und er könne mit ihr machen, was ihm beliebe, nicht widersprechen können. Den besorgten Gesichtern in diesem Haus nach zu urteilen wurde die unglückliche Lady Lonsdale gerade zum Opfer dieses Gesetzes. Wenn nicht jemand eingriff.
Hunter wandte sich an den Butler, wobei seine Worte jedoch allen galten. »Wenn sie stirbt«, sagte er ruhig, »werdet ihr wahrscheinlich der Beihilfe zum Mord angeklagt.«
Ohne die Dienstboten anzusehen, merkte er doch, wie Bewegung in die Gruppe kam. Angst, Schuldbewusstsein und Sorge erfüllten den Raum. Niemand rührte sich, selbst der Butler nicht, als Hunter auf die Treppe zutrat. Vor der Haushälterin blieb er stehen. »Führen Sie mich zu Lady Lonsdales Zimmer.«
»Ja, Mylord.« Sie stieg so rasch die Treppe hinauf, dass Hunter gezwungen war, zwei Stufen auf einmal zu nehmen.
In Rachels Schlafzimmer war es dämmerig und still, ein Hauch von Parfüm lag in der Luft und die Samtvorhänge waren bis auf einen Spalt, durch den Sonnenstrahlen drangen, zugezogen. Rachel lag mit aufgelösten Haaren und in einem weißen Nachthemd auf spitzengesäumten Kissen. Sie hatte keine blauen Flecken auf den Armen oder im Gesicht, aber sie sah seltsam wächsern aus und ihre Lippen waren vollkommen blutleer.
Als Rachel bemerkte, dass jemand im Zimmer war, öffnete sie die Augen. Als sie Hunters dunkle Gestalt sah, entfuhr ihr ein angstvolles Wimmern und er merkte, dass sie ihn für Lonsdale hielt.
»Lady Lonsdale«, sagte er leise und trat ans Bett. »Rachel.« Sie zuckte zusammen. »Was ist geschehen? Wie lange bist du schon krank?« Er umschloss mit seinen großen Händen ihre dünnen, kalten Finger.
Sie blickte ihn wie ein verwundetes Tier an. »Ich weiß nicht«, flüsterte sie. »Ich weiß nicht, was geschehen ist. Er wollte es nicht, da bin ich ganz sicher … aber irgendwie bin ich gestürzt. Ruhe … ich brauche nur Ruhe. Es ist nur … es tut so schrecklich weh … ich kann nicht schlafen.«
Sie brauchte einiges mehr als Ruhe und vor allem brauchte sie einen Arzt. Hunter hatte Rachel nie richtig wahrgenommen, da er sie stets für eine zwar attraktive, aber viel weniger interessante Imitation von Lara gehalten hatte. Aber jetzt sah er die Ähnlichkeit zwischen den beiden und er erkannte, wie sehr sie litt, und empfand Mitleid.
»Lara hat mich zu dir geschickt«, murmelte er. »Du solltest wahrscheinlich nicht bewegt werden, aber ich habe ihr fest versprochen …« Frustriert brach er ab.
Laras Name schien in Rachels von Schmerzen getrübtes Bewusstsein zu dringen. »O ja … Larissa. Ich will zu Larissa. Bitte.«
Hunter warf der Haushälterin, die neben ihm stand, einen Blick zu. »Was, zum Teufel, fehlt ihr eigentlich?«
»Sie blutet immer noch, Sir«, erwiderte die Haushälterin leise. »Seit dem Sturz. Wir können die Blutungen nicht stillen. Ich wollte den Arzt holen, aber der Herr hat es verboten.« Ihre Stimme wurde so leise, dass er sie kaum noch verstehen konnte. »Bitte, Sir … holen Sie sie hier weg, bevor er zurückkommt. Wenn Sie es nicht tun, wissen wir nicht, was noch geschehen wird.«
Hunter blickte auf die Gestalt im Bett und zog die Decke zurück. Auf dem Laken und auf Rachels Nachthemd waren getrocknete Blutflecken. Er befahl der Haushälterin, ihm zu helfen, und gemeinsam zogen sie der Kranken einen dicken, wattierten Morgenmantel an. Rachel versuchte mitzuhelfen, indem sie schwach die Arme hob, aber selbst die kleinste Bewegung schien ihr starke Schmerzen zu bereiten. Als die Haushälterin den Morgenmantel endlich zuknöpfte, waren Rachels Lippen ganz blau und sie presste sie fest zusammen.
Hunter nahm sie auf den Arm und redete mit ihr wie mit einem kleinen Kind. »Gutes Mädchen«, murmelte er, als er sie hochhob. »Ich bringe dich zu Larissa und bald geht es dir wieder besser.« Er versuchte, so sanft wie möglich zu sein, aber sie stöhnte vor Schmerzen, als er sie an die Brust drückte. Hunter fluchte insgeheim und überlegte, ob sie den Transport wohl mit dem Tod bezahlen würde.
»Gehen Sie, Mylord«, drängte die Haushälterin, als er zögerte. »Es ist zu ihrem Besten, Sie müssen mir glauben.«
Hunter nickte und trug Rachel aus dem Zimmer. Ihr Kopf sank auf seine Schulter und er dachte,
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