Geliebter Fremder
bisschen Frieden für mich selbst. Nach dieser Episode wünsche ich mir ein paar Tage, in denen ich nicht über Waisen oder sonstige unglückliche Geschöpfe nachdenken muss. Ich hätte auch gern ein oder zwei ungestörte Abende. Wenn ich damit nicht zu viel verlange.«
Laras fragender Blick traf auf seine zornigen Augen. Er wollte ganz offensichtlich nicht der galante Ritter sein und bemühte sich, deutlich zu machen, dass seine Motive eher eigennützig als wohltätig waren.
Aber es funktionierte nicht. Nichts konnte die Tatsache verbergen, dass Hunter wieder einmal das Richtige tat.
Schweigend wunderte Lara sich darüber, wie sehr er sich verändert hatte. »Ich muss dir etwas gestehen«, sagte sie.
»Was?«, fragte er kühl.
»Früher einmal, vor Jahren … ich habe Rachel eigentlich beneidet, weil …« Sie senkte den Blick. »Als Rachel Lonsdale heiratete, glaubte sie, ihn zu lieben. Lonsdale kam ihr so hinreißend und romantisch vor, und wenn ich euch beide in Gedanken miteinander verglich, dann schnittest du eher … schlechter ab. Du warst so unglaublich ernsthaft und nur mit dir selbst beschäftigt und Lonsdale zeigte viel mehr Charme als du. Sicher ist es keine Überraschung für dich, dass ich dich nicht liebte. Meine Eltern hatten unsere Ehe arrangiert und ich hatte ihre Wahl akzeptiert. Aber wenn ich die Zeichen der Zuneigung zwischen Rachel und Lonsdale beobachtete, fand ich immer, dass sie die bessere Partie gemacht hatte. Ich hatte nie vor, das dir gegenüber zuzugeben, aber jetzt …« Lara presste ihre Hände zusammen. »Jetzt sehe ich, wie sehr ich mich geirrt habe. Du bist so …« Errötend brach sie ab, aber aus Dankbarkeit und einem tiefen, lebendigen Gefühl heraus zwang sie sich fortzufahren: »Du bist so viel mehr, als ich mir je erhofft habe. Irgendwie bist du zu einem Mann geworden, dem ich vertrauen und auf den ich mich verlassen kann. Einem Mann, den ich lieben könnte.«
Sie wagte es nicht, ihn anzublicken, da sie sich nicht sicher war, wie er ihre Worte aufnehmen würde. Hunter ging an ihr vorbei durch die halb offen stehende Tür … und ließ sie allein mit dem Widerhall ihres kühnen Geständnisses.
Kapitel 16
Die Dienstboten von Lonsdale hatten offenbar nach dem Geschlecht Partei ergriffen, weil die Männer ihren Herrn unterstützten, während die Frauen Mitgefühl für die Dame des Hauses empfanden. Einige Lakaien und ein stoischer Butler taten ihr Bestes, um Hunter am Betreten des Hauses zu hindern, während die Haushälterin und die Zofe aus einiger Entfernung besorgt zusahen. Hunter spürte, dass die Frauen durchaus bereit waren, ihn in das Zimmer ihrer Herrin zu führen.
Hunter starrte den Butler, einen älteren Mann, der seit Jahrzehnten im Dienst der Lonsdales stand, ausdruckslos an.
Er hatte wahrscheinlich schon oft dabei geholfen, die Missetaten, die von den Familienmitgliedern begangen worden waren, zu vertuschen. Der Mann grüßte ihn würdevoll und höflich, aber das Flackern in seinen Augen verriet, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte. Neben ihm standen zwei riesige Lakaien, die offenbar dazu bestellt waren, Hunter eigenhändig vor die Tür zu setzen.
»Wo ist Lonsdale?«, fragte Hunter.
»Der Herr ist nicht da, Mylord.«
»Mir wurde gesagt, dass Lady Lonsdale krank ist. Ich möchte mich persönlich von ihrem Gesundheitszustand überzeugen.«
Der Butler errötete sichtlich, erwiderte aber hochmütig: »Ich kann leider keine Einzelheiten über Lady Lonsdales Gesundheit bestätigen, Mylord. Das ist eine Privatangelegenheit. Vielleicht wenden Sie sich besser an Lord Lonsdale, wenn er zurückkommt.«
Hunter blickte auf die Lakaien und die zwei Frauen an der Treppe. An ihren erstarrten Gesichtern sah er, dass Rachel tatsächlich sehr krank sein musste.
Die Situation erinnerte ihn an ein Erlebnis in Indien, als er das Haus eines sterbenden Freundes besucht und voller Verwandten vorgefunden hatte. Ihre schweigende Verzweiflung hatte wie Rauch in der Luft gehangen. Sie hatten alle gewusst, dass die Frau, wenn der Mann starb, bei lebendigem Leib mit der Leiche zusammen verbrannt werden würde. Hunter erinnerte sich an die roten Handabdrücke, die die Frau auf der Schwelle hinterlassen hatte, bevor sie die alte Tradition der sati erfüllte. Diese Abdrücke waren das Einzige, was von ihr übrig geblieben war.
Hunter hatte ihr damals nicht helfen können. Die Inder verehrten die satis so sehr, dass sie jeden Fremden getötet hätten, der es gewagt
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