Geliebter Fremder
sie sei ohnmächtig geworden, aber als er sie die Treppe hinuntertrug, hörte er ein schwaches Flüstern. »Danke, wer immer Sie auch sein mögen.«
Die Schmerzen und der Blutverlust mussten wohl ihren Verstand getrübt haben, dachte er. »Ich bin Hawksworth«, sagte er, während er sich bemühte, so vorsichtig wie möglich die Treppe hinunterzugehen.
»Nein, das sind Sie nicht«, erwiderte sie schwach, aber bestimmt… und strich ihm sanft über die Wange.
Die Kutschenfahrt nach Hawksworth Hall war quälend. Rachel keuchte jedes Mal vor Schmerzen auf, wenn der Wagen über ein Loch in der Straße rumpelte oder über einen Ast fuhr. Sie lag zusammengekrümmt auf den Samtpolstern und auch die Kissen und Decken um sie herum linderten ihre Qualen kaum. Hunter zuckte bei Rachels leisem Stöhnen zusammen. Ihre Schmerzen berührten ihn mehr, als er erwartet hatte.
Wie alle anderen auch hätte Hunter am liebsten ignoriert, wie Lonsdale Rachel behandelte, weil er fand, es ginge ihn nichts an, was ein Ehepaar in der Abgeschiedenheit seines Hauses miteinander trieb. Er zweifelte nicht daran, dass viele Leute sagen würden, es ginge zu weit, Rachel von zu Hause wegzuholen. Verdammt, dachte er wild, als Rachel vor Schmerzen wimmerte. Alle in Market Hill und die Freunde und Verwandten der Lonsdales waren schuld – sie alle hatten dazu beigetragen, dass es so weit gekommen war.
Fast schien es wie ein Wunder, dass Rachel während der Fahrt in der Kutsche nicht starb. Endlich kamen sie in Hawksworth Hall an und Hunter trug sie vorsichtig ins Haus. Der alte Dr. Slade war bereits da und wartete gemeinsam mit Lara auf sie. Seine Frau schien über den Zustand ihrer Schwester nicht überrascht zu sein und er vermutete, dass sie bereits mit dem Schlimmsten gerechnet hatte. Auf Laras Anweisung hin brachte Hunter die Patientin vorerst in ihr Schlafzimmer und legte sie dort aufs Bett. Während die Zofen herumliefen, Lara sich über Rachel beugte und der Arzt in seinem Koffer kramte, ging Hunter aus dem Zimmer.
Seine Aufgabe war getan. Wahrscheinlich hätte er Befriedigung empfinden müssen, weil er sein Versprechen erfüllt hatte, stattdessen war er besorgt und ruhelos. Er zog sich in die Bibliothek zurück, trank langsam einen Brandy und überlegte, wie er mit Lonsdale verfahren sollte, wenn dieser auftauchte. Ganz gleich, wie reumütig er seine Fehler einsah, er konnte ihm unmöglich erlauben, seine Frau wieder mit nach Hause zu nehmen. Sie konnten doch Lonsdale niemals wieder Glauben schenken, dass er Rachel nichts antun würde – vielleicht würde er sie letztendlich sogar noch umbringen.
Lonsdale würde sich nicht ändern, überlegte Hunter, während er seinen zweiten Brandy trank. Die Menschen änderten sich nie. Ihm fiel ein, was Lara zu ihm gesagt hatte: Irgendwie bist du zu einem Mann geworden, dem ich vertrauen und auf den ich mich verlassen kann. Einem Mann, den ich lieben könnte. Das ernste Geständnis, mit so viel liebevoller Hoffnung ausgesprochen, hatte ihn mit bitterer Sehnsucht erfüllt. Er wollte Laras Liebe. Er würde alles hm, um sie zu erlangen, obwohl er auf seine Art für sie vielleicht genauso zerstörerisch war wie Lonsdale für Rachel.
Ein Diener kam und meldete ihm, der Arzt wolle gehen. Hunter stellte sein Brandyglas ab und eilte in die Halle, wo er mit Lara und Dr. Slade zusammentraf. Das Gesicht des alten Arztes war ernst und voller Missbilligung und seine Falten traten noch deutlicher hervor als gewöhnlich, sodass er aussah wie eine verdrießliche Bulldogge. Lara wirkte gefasst, aber bedrückt.
Hunter blickte von einem zum anderen und wartete auf die Neuigkeiten. »Nun?«, fragte er schließlich ungeduldig.
»Lady Lonsdale hatte eine Fehlgeburt«, erwiderte Dr. Slade. »Sie bemerkte ihren Zustand offenbar erst, als die Blutungen einsetzten.«
»Wie ist es passiert?«
»Lonsdale hat sie die Treppe hinuntergestoßen«, sagte Lara leise. Ihre Augen funkelten vor Zorn. »Er war betrunken und hatte einen Wutanfall. Rachel behauptet, er habe nicht gewusst, was er tat.«
Dr. Slade runzelte die Stirn. »Eine hässliche Angelegenheit«, meinte er. »Ich hätte nie gedacht, dass ich dies einmal sagen würde, aber es ist in der Tat ein Segen, dass der alte Lord Lonsdale nicht mehr miterleben muss, was aus seinem Sohn geworden ist. Ich weiß noch gut, wie stolz er immer auf den Jungen war …«
»Wird sie wieder gesund?«, unterbrach Hunter ihn.
»Ich glaube, Lady Lonsdale wird sich wieder vollständig
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