Geliebter Fremder
erholen«, antwortete der Arzt, »vorausgesetzt, sie hat ausreichend Ruhe und Pflege. Ich würde vorschlagen, dass niemand sie stört, weil ihre Gesundheit sehr angegriffen ist. Was ihren Mann betrifft …« Zögernd schüttelte er den Kopf, weil er sich stillschweigend eingestand, dass dies nicht in seiner Macht lag. »Hoffentlich kann ihn jemand davon überzeugen, dass ein solches Verhalten alles andere als akzeptabel ist.«
»Das wird der Fall sein«, erwiderte Lara bestimmt, noch bevor Hunter etwas sagen konnte. Ohne einen der beiden Männer anzusehen, drehte sie sich um und ging die Treppe hinauf in das Krankenzimmer ihrer Schwester. Etwas an ihrem steifen, aufrechten Gang und der entschlossenen Haltung ihres Kopfes löste ein unbestimmtes Schuldgefühl bei Hunter aus, als hätten auch er und der Arzt an Lonsdales Tat Anteil. Als ob sie beide an einer Verschwörung gegen Frauen teilgenommen hätten.
»Verdammter Lonsdale«, knurrte er leise.
Der Arzt klopfte ihm leicht auf die Schulter. »Ich verstehe Sie, mein Junge. Ich weiß, wie sehr Sie Ihren Freund mögen. Aber wenn Sie die Meinung eines alten Mannes hören wollen, so bin ich froh, dass Sie Lady Lonsdale unter Ihre Fittiche genommen haben. Es zeigt eine Anteilnahme, die bei den Crosslands bisher nicht häufig vorgekommen ist. Das sollte jetzt keine Beleidigung sein.«
Hunter verzog ironisch den Mund. »Ich kann eine Beleidigung von der Wahrheit unterscheiden«, sagte er und ließ eine Kutsche vorfahren, damit der alte Mann nach Hause gebracht wurde.
Lara hielt die ganze Nacht über Wache an Rachels Bett, bis sie schließlich im Sessel einnickte. Sie zuckte zusammen, als ein Schatten ins Zimmer glitt. »Was …«
»Ich bin’s«, murmelte Hunter und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Komm zu Bett, Lara. Deine Schwester schläft – du kannst dich morgen früh wieder um sie kümmern.«
Lara schüttelte gähnend den Kopf. Ihre Nackenmuskeln schmerzten. »Nein. Wenn sie aufwacht … wenn sie etwas braucht … Ich möchte hier bleiben.« Sie konnte es ihm nicht erklären. Sie hatte einfach das Gefühl, sie dürfe ihre Schwester nicht allein lassen. Rachel brauchte ständigen Schutz vor den realen wie vor den irrealen Ungeheuern.
Zärtlich strichen seine Fingerspitzen über ihren Nacken. »Wenn du am Ende völlig erschöpft bist, hat sie auch nichts davon«, sagte er.
Lara legte ihre Wange in seine Handfläche und seufzte. »Ich möchte irgendetwas tun, und wenn es nur darin besteht, ihr beim Schlafen zuzusehen.«
Sein Daumen fuhr über ihre Schläfe und er drückte seine Lippen in ihr Haar. »Geh zu Bett, Liebling«, sagte er leise. »Ich passe jetzt auf sie auf.« Widerstrebend ließ sie sich von ihm aus dem Sessel ziehen und aus dem Zimmer schicken. Wie eine Schlafwandlerin ging Lara in ihr Bett.
Am Nachmittag des nächsten Tages kam Lonsdale nach Hawksworth Hall. Zuerst wusste Lara noch gar nicht, dass er da war, weil sie sich die meiste Zeit des Tages bei Rachel aufhielt. Sie hatte ihrer Schwester so lange gut zugeredet, bis sie etwas Suppe und einen Löffel Flammeri zu sich genommen hatte. Außerdem hatte sie die Medizin eingenommen, die Dr. Slade ihr verschrieben hatte. Danach schlief sie ein, wobei sie mit kindlichem Vertrauen Laras Hand umklammert hielt.
Vorsichtig löste sich Lara aus der Umklammerung und strich ihrer Schwester über das lange, braune Haar. »Schlaf gut, Liebes«, flüsterte sie. »Alles wird gut.«
Während sie das Zimmer verließ, überlegte sie, wie und wann sie ihren Eltern erzählen sollte, was Rachel geschehen war. Das würde vermutlich sehr unangenehm werden. Sie erwartete, dass sie alles abstreiten würden.
Lonsdale sei ein guter Mann, würden sie sagen, und vielleicht habe er nur einen Fehler gemacht, den man verstehen und verzeihen müsste.
Lara wusste, wie wichtig Hunters Unterstützung war, wenn sie Lonsdale von Rachel fern halten wollte. Falls Hunter seine Meinung änderte, würden sie keinen Erfolg haben. Nur er konnte verhindern, dass Lonsdale seine Frau zurückholte und mit ihr so verfuhr, wie es ihm beliebte. Lara war Hunter dankbar für seine bisherige Hilfe, aber sie hatte letztlich doch Angst, dass seine langjährige Freundschaft mit Lonsdale die Oberhand gewinnen würde. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Mann Lonsdale den Zugang zu dem Krankenzimmer seiner Frau verweigern würde. Und wenn Hunter den Forderungen seines Freundes nachgäbe … Lara war sich nicht sicher, was sie
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