Geliebter Lord
Euch Nägel ins Fleisch getrieben?« Sie wischte die Phiole ab und stellte sie auf den Tisch. Als sie sich ein sauberes Tuch ums Haar band, hoffte sie inständig, dass Hamish das Zittern ihrer Hände nicht bemerkte.
Er nickte, trat zu ihr und inspizierte den Koffer eingehend.
»Warum?«, fragte sie mit schwacher Stimme.
Sein müdes Lächeln drückte beinahe so etwas wie Mitleid ob ihrer Naivität aus.
»Weil sie wissen wollten, wie laut ich schreien konnte«, antwortete er, als sprächen sie über etwas ganz Alltägliches.
»Und – habt Ihr geschrien?« Na also – ihr sachlicher Ton stand dem seinen nicht nach.
»Allerdings«, antwortete er trocken. »Ich hatte bis dahin gar nicht geahnt, was meine Stimme hergibt.«
Obwohl er es leichthin sagte, war sie überzeugt, dass ihm dieses Geständnis schwerfiel, und es schmerzte sie regelrecht, es zu hören. Spontan legte sie behutsam die Hand an seine narbenbedeckte Wange. In diesem Augenblick war sie gemeinsam mit ihm in dem weit entfernten Land, spürte die Qualen, die es ihm bereitet haben musste, von den Nägeln durchbohrt zu werden.
Abrupt ließ sie die Hand sinken, drehte sich zum Tisch, nahm ein Tuch aus dem Koffer und legte es neben die Schüssel, die sie aus der Küche mitgenommen hatte. Dann holte sie einen kleinen Eisenkessel aus dem Feuer und goss das kochende Wasser in die Schüssel.
»Wollt Ihr mich waschen?«
»Ich will Euren Arm behandeln.« Sie zog einen Stuhl unter dem Tisch heraus. Als Hamish, der stummen Aufforderung folgend, darauf Platz nahm, erschien wieder dieses rätselhafte Lächeln auf seinem Gesicht.
Mary setzte sich ihm gegenüber. »Seit wann könnt Ihr ihn nicht mehr benutzen?«, erkundigte sie sich.
»Seit meiner Gefangennahme.«
»Lasst ihn mich ansehen«, bat sie. »Ich will wissen, ob wir ihn wieder funktionstüchtig machen können.«
»Wir?«
»Heiler und Patient müssen zusammenarbeiten, Hamish.«
Er wirkte amüsiert, sagte jedoch nichts. Sie wusste von Brendan, dass sein Bruder nicht nur ihre Hilfe abgelehnt hatte, sondern auch die des arabischen Arztes, den Brendan gleich für ihn geholt hatte. Es war, als wollte Hamish gar nicht gesund werden. Oder als wäre es ihm nicht wichtig.
Mary hob seinen linken Arm an und schob den Hemdärmel nach oben. Die Muskeln waren noch nicht verkümmert. Die Haut war gebräunt und straff. Anlass zu Hoffnung. Doch auch hier gab es Narben – vom Handgelenk bis zum Oberarm. Mary fröstelte unwillkürlich.
»Haben sie hier auch Nägel benutzt?«
»Oh ja, und das ganz gezielt. Die Atavasi sind Meister der Folter.«
»Haben sie den anderen Arm ebenfalls verletzt? Oder Eure Beine?« Mary hatte als Heilerin schon vieles gesehen, aber noch nie solche Zeugnisse von Barbarei. Die Nägel waren nahe den Gelenken ins Fleisch getrieben worden, wo sie den größten Schaden anrichteten und die größten Schmerzen verursachten.
»Nein«, antwortete er. »Bevor sie dazu kamen, gelang es mir zu fliehen.«
Mary drückte vorsichtig auf eine Narbe, um zu sehen, ob der Muskel darauf reagierte.
»Ihr müsst es mir sagen, falls es Euch Unbehagen bereitet«, bat sie.
Er lächelte wieder nur, als halte er ihre Bitte für töricht.
»Tut der Arm weh?«, fragte sie, als der Muskel reglos blieb.
»Hin und wieder. Aber nicht unerträglich.«
»Ist es ein ziehender Schmerz? Ein klopfender? Bei Kälte? Oder bei kaltem Wind?«
»Hauptsächlich nachts. Wisst Ihr, dass Ihr die Stirn runzelt, während Ihr mir all diese Fragen stellt? Ihr seid sehr ernsthaft, Mary Gilly. Sehr auf Eure Arbeit konzentriert.« Er nahm die langschenklige Federzange vom Tisch, die sie zusammen mit ihren übrigen Utensilien dort ausgelegt hatte. »Wofür wird die benutzt?«
»Für alles Mögliche. Um ein Furunkel anzustechen, in einen entzündeten Hals zu schauen … Ich habe sie sogar einmal bei einer Geburt eingesetzt.« Er legte das Instrument zurück und griff nach einem anderen.
»Hat Euer Ehemann diese Dinge für Euch angefertigt? Es ist das erste Mal, dass ich welche aus Silber sehe.«
»Der Koffer war ein Geschenk von Gordon zu unserem zehnten Hochzeitstag. Er wollte, dass ich die besten Werkzeuge hätte, und darum machte er sie selbst. – Einige habe ich noch nie verwendet«, gestand sie. »Auf die Idee dafür kam er durch die Korrespondenz mit ein paar Männern in Edinburgh.«
»Ein ergebener Gatte.«
Die Worte hätte man als Kompliment verstehen können, doch Hamishs Ton sprach dagegen.
Mary prüfte den Arm
Weitere Kostenlose Bücher