Geliebter Normanne
eine Verräterin, die den König stürzen wollte, handeln. Da es bis zur Rückkehr des Königs noch Wochen, wenn nicht sogar Monate dauert, könnte Hayla den Strapazen der Gefangenschaft nicht gewachsen sein. Sie könnte ernsthaft erkranken, oder die Wachen könnten sich …« Sie stockte und sah Bosgard ängstlich an. »Du weißt schon, was ich meine. Es wäre nicht das erste Mal.«
»Ich weiß!«, knurrte Bosgard und ballte die Hände zu Fäusten. Er selbst hatte bereits an die Gefahr einer Schändung der Geliebten gedacht, und dieser Gedanke ließ ihn beinahe wahnsinnig werden. »Nicht alle Normannen sind Ehrenmänner, besonders nicht, wenn eine so schöne Frau wie Hayla sich in ihrer Gewalt befindet. Oder Ralph Clemency gelingt es irgendwie, zu ihr zu kommen. Dieser Mann ist zu allem fähig. Er wird nicht abwarten, bis Hayla eine ordentliche Gerichtsverhandlung erhält, um seine Rache zu vollziehen.«
»Nun, dann gibt es nur eine einzige Möglichkeit, Bosgard.« Er sah sie erwartungsvoll an, doch bei ihren nächsten Worten stockte ihm der Atem. »Du musst zu König William in den Norden reiten und ihn bitten, sofort nach London zu kommen. Schildere ihm euren Fall und versichere William, dass weder du noch Hayla etwas von ihrer wahren Herkunft ahnten. Nein, unterbrich mich jetzt nicht. Du und der König – einst wart ihr fast wie Freunde, und er hat deine Meinung immer geschätzt. Ich bin sicher, er wird dich anhören und dich verstehen.«
»Du vergisst, dass William meine Auslieferung gefordert hat«, erinnerte Bosgard. »Zudem ist er wegen meiner Weigerung, Constance Aubrey zu heiraten, nicht gut auf mich zu sprechen.«
Ilvy blickte Bosgard fest an. »Es ist die einzige Chance, die du hast. Der König muss die Verhandlung gegen Hayla so bald wie möglich eröffnen, denn nur so hat sie die Möglichkeit, ihre Unschuld zu beweisen und vom König von allen Vorwürfen freigesprochen zu werden. Selbst wenn es dir gelingen sollte, Hayla zu befreien – wenn ihr gemeinsam flieht, dann werdet ihr für den Rest eures Lebens Geächtete sein, und dies wird stets wie ein Schatten über eurem Glück liegen. Reite allein, damit der König sieht, dass du in friedlicher Absicht zu ihm kommst.« Ilvy wandte sich zur Tür. Bosgards verblüffter Gesichtsausdruck ließ sie leise auflachen. »Ich richte dir etwas zu essen und zu trinken, denn am besten reitest du noch heute bei Sonnenaufgang.«
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21. Kapitel
E s war eine verrückte Idee, aber vielleicht wirklich die einzige Möglichkeit, Hayla zu einem gerechten Prozess zu verhelfen. Obwohl es in diesen Zeiten nicht ohne Gefahr war, ritt Bosgard allein. Straßenräuber und Wegelagerer trieben ihr Unwesen und ließen sich trotz der drohenden Todesstrafe nicht von ihrem schändlichen Treiben abhalten. Dabei handelte es sich meistens um Angelsachsen, die aufgrund von Armut und Hunger gezwungen waren, sich und ihre Familien mit Raubüberfällen durchzubringen. Bosgard konnte es den armen Menschen nicht verübeln, denn nicht jeder normannische Herr behandelte seine Leute so gut und gerecht, wie er es in Penderroc Castle getan hatte. Bosgard hoffte dennoch, die Stadt York unbehelligt zu erreichen, denn er hatte weder Zeit noch Lust auf einen Kampf. Je weiter er nach Norden vordrang, desto mehr erfuhr er über die angelsächsischen Aufstände. Vor einigen Wochen hatte König William einen normannischen Gesandten in den Norden geschickt, der die dortigen immer wieder aufflackernden Widerstände niederschlagen und die Ordnung herstellen sollte. Dieser Gesandte wurde in der Stadt Durham in eine Falle gelockt, im Haus des Bischofs ermordet und seine Leiche öffentlich verbrannt. Diese Nachricht gelangte nach York, wo ortsansässige Aufständische sofort die normannische Besatzung angriffen, in der Hoffnung, sich so von der normannischen Knechtschaft befreien zu können. Da dieser Aufstand der größte und blutigste seit der Eroberung war, sah sich König William gezwungen, selbst mit seinem Heer nach York zu ziehen und den Kämpfen ein Ende zu machen. Rund zwanzig Meilen vor seinem Ziel erfuhr Bosgard, dass der König die Stadt nicht nur zurückerobert, sondern sie auch dem Erdboden gleichgemacht und alle Angelsachsen – gleichgültig, ob am Aufstand beteiligt oder nicht, und auch Frauen und Kinder – hatte hinrichten lassen. Wenn Bosgard auf einen Angelsachsen traf, schlug ihm purer Hass entgegen, aber niemand griff ihn an. Die Leute respektierten jedoch weniger seine
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