Geliebter Normanne
fort, und meine Mädchen schlafen inzwischen alle«, sagte sie und stellte den mitgebrachten Krug Wein auf den Tisch. »Ich habe Neuigkeiten, aber leider keine, die dich freuen werden.« Ilvy war eine Frau, die gleich zur Sache kam.
Bosgard trank einen Schluck des roten, süßen Weins, bevor er zögernd fragte: »Hast du etwas über Hayla erfahren? Geht es ihr … ich meine, ist sie am Leben?«
Schnell legte Ilvy eine Hand auf Bosgards Arm. Sie spürte, wie er zitterte, und beeilte sich zu versichern: »Keine Angst, Bosgard, sie lebt, und es geht ihr gut. Nun ja, soweit man nach über einer Woche Gefangenschaft im Tower davon sprechen kann, dass es einem gutgeht. Heute Abend war eine der Wachen in meinem Haus. Hoffentlich hat er sich nicht gewundert, als ich ihm einen zweiten Krug Wein spendierte, aber er wurde schnell gesprächig. Du musst wissen, Bosgard, den Wachen des Towers ist es untersagt, während der Arbeit alkoholische Getränke zu sich zu nehmen, und ihr Lohn reicht allenfalls für dünnes Sauerbier.« Ilvy sah Bosgard mitfühlend an. »Auf jeden Fall habe ich erfahren, dass man eine junge Frau mit auffallend blauen Augen in das unterste Kellergeschoss gebracht hat. Ihre Zelle ist ohne Tageslicht und feucht.«
Bosgard atmete schnell ein und aus. Vor seinen Augen entstand das Bild einer frierenden Hayla, die auf schmutzigem Stroh kauerte und deren alabasterweiße Haut bald mit Ausschlägen und Geschwüren übersät sein würde. Bosgard kannte die Zustände in den Kerkern leider nur zu gut.
»Ich muss sie da rausholen.« Er sprang auf und hätte am liebsten auf der Stelle den Tower gestürmt.
»Ich habe eine weitere, leider schlechte Nachricht für dich, mein Freund. Der Kerker wird ohne Unterbrechung von zwölf Männern bewacht – vier am oberen Eingang, sechs am Anfang des Ganges zu den Gewölben, und zwei Wachen sind stets vor Haylas Tür postiert.«
»Wir sind zu siebt«, rief Bosgard, schränkte aber gleich ein: »Nun ja, Bruder Pierre ist kein Mann des Kampfes, also sind wir nur sechs, aber es sind sechs tapfere Männer, die mit dem Schwert umzugehen wissen. Auf jeden von uns kommen zwei der Wachen … mit etwas Glück …«
»Bosgard, halt!«, fiel Ilvy ihm ins Wort. »Ich habe nur von den Wachen im Hauptturm gesprochen. Du musst wissen, auf dem gesamten Gelände befinden sich um die zweihundert Männer. Alle sind ausgezeichnet ausgebildet und bewaffnet. Du weißt selbst, dass König William sich nur mit den besten und stärksten Männern umgibt. Um überhaupt zum Tower zu gelangen, müsste man zwei Tore überwinden, die stets mit Fallgittern geschlossen werden und bewacht sind. Die Tower-Anlage ist wie eine eigene Stadt, deren Betreten nur den vom König bestimmten Leuten gestattet ist.«
Grübelnd zog Bosgard die Stirn in Falten und legte einen Finger auf seine Nasenspitze. »Vielleicht wenn ich mich verkleide … als Mönch eventuell. Ja, ich könnte zusammen mit Bruder Pierre die Gefangene aufsuchen, um ihr geistlichen Beistand zu leisten. Dann kleidet sich Hayla in meine Kutte, und ich bleibe an ihrer statt im Kerker …«
»Vergiss es.« Scharf unterbrach Ilvy seine Worte. »Niemand darf zu Hayla. Ich habe zusätzlich erfahren, dass in den letzten Tagen ein Ritter zweimal versucht hat, sie zu besuchen, aber er wurde abgewiesen.«
»Was für ein Ritter?«
Ilvy zuckte mit den Schultern. »Das wusste der Wachmann nicht, aber der Ritter hat offenbar angegeben, zu des Königs Gefolge zu gehören.«
»Ralph Clemency.« Bosgard stand auf und trat ans Fenster. Dunkel wand sich das breite Band des Flusses durch die Nacht, aber auf den Palisaden des Towers brannten in regelmäßigen Abständen Fackeln, in deren Schein Bosgard die Schatten der Wachen erkennen konnte. Er wandte sich wieder Ilvy zu und sagte: »Ich habe dir von Ralph, meinem einstigen Freund und Schwager, erzählt. Er wird alles daransetzen, Hayla zu töten, nur um sich an mir zu rächen. Ich muss ihn aufhalten.«
Ilvy stand auf, trat neben Bosgard und lehnte ihren Kopf an seine Brust. Es war eine freundschaftliche Geste, die nichts mit Leidenschaft oder gar Liebe zu tun hatte.
»Wenn wir uns die Sache von allen Seiten betrachten, so sehe ich nur eine Möglichkeit, Haylas Leben vielleicht retten zu können.«
Bosgard sah sie gespannt an. »Ich werde alles für sie tun!«
»Der Prozess gegen Hayla wird erst beginnen, wenn der König wieder in London ist. Dazu ist der Fall zu brisant, immerhin soll es sich bei Hayla um
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