Geliebter Normanne
sein Name verlauten ließ, und der Besitzerin Ilvy verschlug es vor Überraschung die Sprache, als Bosgard an ihre Tür klopfte.
»Guten Tag, Ilvy, ich freue mich, dich bei guter Gesundheit anzutreffen«, begrüßte Bosgard die blonde, nicht mehr junge Frau. »Offenbar floriert dein Geschäft, wenn ich mich hier so umsehe. Du hast sogar Fensterscheiben einbauen lassen.«
Ilvy schüttelte erst fassungslos den Kopf, dann ergriff sie Bosgards Hand und drückte sie. »Bosgard de Briscaut! Nachdem du dich aufs Land zurückgezogen hast, hätte ich nie gedacht, dich jemals wiederzusehen. Ja, wie du schon erkannt hast, die Geschäfte laufen gut, ich kann nicht klagen. Seit es die Bauarbeiten am anderen Ufer gibt« – sie deutete auf die Anlage des Towers –, »hat sich meine Kundschaft verzehnfacht. Allein in diesem Jahr musste ich sechs neue Mädchen einstellen, um allen Wünschen gerecht zu werden.«
Bei ihren Worten lächelte Bosgard wissend. Er hatte das
Red Ox Heart
gewählt, weil er von dort aus den Tower im Blick hatte, und die Nachricht, dass Leute, die dort arbeiteten, hier ein und aus gingen, versetzte Bosgard in eine gewisse Hochstimmung. Noch jedoch wollte er Ilvy nicht sagen, was ihn nach London geführt hatte. Sie hatten sich lange nicht gesehen, und er musste erst sicher sein, dass sie so verschwiegen war wie früher. Obwohl ein paar Jahre älter als Bosgard, war Ilvy noch immer eine schöne Frau. Kurz nachdem er damals mit William nach England gekommen war, hatte Bosgard sie kennengelernt, da viele der Männer des Königs in ihrem
Gasthaus
im wahrsten Sinne des Wortes verkehrten. Bosgard hatte einmal das Lager mit ihr geteilt, nicht gegen Geld, sondern weil Ilvy ihm eindeutige Avancen gemacht und er zu viel getrunken hatte. Beide hatten jedoch gleich gemerkt, dass sie sich zwar gut verstanden, körperlich aber nicht harmonierten. Zwischen ihnen war keine Liebe, nicht einmal ein Funken Leidenschaft. So war Ilvy, die mit dem Tross des Königs aus der Normandie gekommen und somit Normannin war, zu einer Freundin Bosgards geworden, und er hatte, bevor er nach Penderroc Castle gegangen war, gerne und regelmäßig seine freien Abende hier beim Würfelspiel und süßem Wein verbracht. An den Mädchen, die ihm deutlich zu verstehen gegeben hatten, dass sie nicht abgeneigt wären, sich
näher
um ihn zu kümmern, hatte Bosgard jedoch kein Interesse gezeigt. Obwohl er und Ilvy keine Liebesbeziehung führten, hatte er mit ihr gerne seine freie Zeit geteilt, denn Ilvy war nicht nur geschäftstüchtig, sondern auch gescheit und hatte das Herz auf dem rechten Fleck. Natürlich hatten ihn seine Kumpane hin und wieder verspottet, dass Bosgard nicht den Avancen der Mädchen erlag, aber dies hatte ihn nicht gekümmert. Bosgard hatte sich noch nie etwas aus körperlichen Begierden, die sein Herz nicht berührten, gemacht, wenngleich er mit dieser Einstellung ziemlich allein unter seinen Männern war.
Bosgard lachte bei diesen Erinnerungen und kniff der Frau freundschaftlich in die Wange. »Geschäftstüchtig bist du ja schon immer gewesen, und es soll dein Schaden nicht sein, wenn du uns für ein Weilchen zwei oder drei deiner Räume überlässt. Ich werde dir die Unkosten ersetzen.«
Ilvy reckte sich und sah auf die kleine Gruppe, die abwartend auf der Straße stand. Als ihr Blick auf Bruder Pierre fiel, lachte sie schallend los. »Ich glaube nicht, dass dieser Mönch in meinem Haus nächtigen möchte. Obwohl« – sie zwinkerte Bosgard vertraulich zu – »oft sind die geistlichen Herren die schlimmsten und die mit den ausgefallensten Wünschen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Bosgard verstand und versicherte Ilvy, Bruder Pierre habe an solchen Dingen kein Interesse. »Er braucht allerdings einen trockenen und warmen Platz für seinen Esel, meine Liebe. Manchmal glaube ich, sein Herz gehört mehr dem Tier als Gott. Nein, sag es lieber nicht!« Schnell legte Bosgard eine Hand auf ihren Mund, als er in ihrem Blick las, was Ilvy, der keine sexuelle Spielart fremd war, über Bruder Pierres Beziehung zu Jesaja dachte.
Ilvy lachte laut, öffnete die Tür und rief: »Dann mal herein, meine Herren. Ich werde sofort anweisen, reichlich Essen und Bier aufzutragen. Ihr werdet sicher alle hungrig sein.«
Bosgard erhielt eine kleine Kammer im ersten Stock, während sich die anderen zwei Räume teilen mussten. Kaum allein, trat er ans Fenster und stieß es auf. Sein Blick fiel auf das riesige Bauwerk am anderen Ufer, an
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