Geliebter Normanne
dem noch gearbeitet wurde, obwohl die Sonne bereits tief im Westen stand.
»Hayla, bist du dort drüben?«, flüsterte er. »Ich bin hier, ganz nah bei dir, und ich werde dich da rausholen. Das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist.«
Nach dem Essen und einigen Krügen Bier wusste Bosgard, dass zur Kundschaft des
Red Ox Heart
nicht nur Steinmetze und sonstige Arbeiter des Towers, sondern auch Wachmänner gehörten. Sein Herz schlug schneller, als Ilvy ihm das erzählte, doch sogleich versetzte sie ihm einen empfindlichen Dämpfer, als sie berichtete, der König befinde sich auf einem Feldzug im Norden.
»Willst du dich ihm nicht anschließen?«, fragte sie Bosgard. »Es wundert mich, dass er dich nicht an seine Seite gerufen hat, als die Aufstände im Norden erneut ausbrachen. Ich habe von heftigen Kämpfen gehört, bei denen viele getötet wurden.«
Bosgard sah sich schnell nach allen Seiten um, aber es war niemand in der Nähe, der sie hätte belauschen können, nur Henri und ein zweiter seiner Männer saßen am Nebentisch. Jeder hatte ein hübsches Mädchen auf dem Schoß, und Bosgard gönnte ihnen den Spaß.
»Der König und ich stehen uns derzeit nicht sehr nahe«, sagte er leise. »Das ist auch der Grund, warum ich hierher zu dir gekommen und nicht an den Hof gegangen bin.«
Ilvy setzte sich aufrecht hin. Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit galt nun Bosgard. »Was ist geschehen?«
Bosgard wusste, er musste sie ins Vertrauen ziehen, wenn er mehr über Hayla erfahren wollte. Er selbst konnte schlecht zu den Wachen im Tower gehen und nach der jungen Frau fragen. Wie es schien, hatte Ilvy sich in den letzten Monaten, seit er London verlassen hatte, nicht verändert, also konnte sie ihm vielleicht behilflich sein.
Mit wenigen Worten erzählte Bosgard von Hayla und dem Verdacht, in den sie geraten war. Er schilderte die Belagerung und Haylas Entschluss, sich auszuliefern, um ihn und die anderen zu retten. »Hayla müsste schon einige Tage in London sein, und ich vermute, man hat sie in den Tower gebracht, allerdings bin ich mir nicht sicher. Man könnte sie auch in eine andere Festung gesperrt haben.«
»Ich soll jetzt also über meine Kundschaft herausfinden, ob ein junges, hübsches Mädchen mit veilchenblauen Augen die Gastfreundschaft des Towers genießt?« Ilvy war nicht dumm und verstand sofort, was auf dem Spiel stand.
Bosgard nickte. »Ich möchte aber nicht zu viel von dir verlangen. Auf keinen Fall sollst du dich in Gefahr bringen, aber als ich hörte, hier verkehren Wachmänner …«
»Ich verstehe dich.« Ilvy drückte Bosgards Hand. »Selbstverständlich werde ich mich umhören, gleich morgen früh. Ich kenne hier in der Umgebung eine Menge Leute, da hat sicher jemand mitbekommen, wenn eine neue Gefangene gebracht worden ist.« Sie sah Bosgard fest in die Augen und fuhr fort: »Du liebst das Mädchen sehr, nicht wahr?«
Bosgard nickte und versuchte zu lächeln. »Mehr als mein eigenes Leben, Ilvy. Das, was Hayla getan hat, hätte ich ebenso für sie getan.«
»Ist sie wirklich eine uneheliche Tochter König Harolds?«
»Das mag durchaus stimmen, aber auf keinen Fall ist sie eine Verräterin. Ich glaube ihr, wenn sie sagt, sie habe nicht gewusst, wer ihr richtiger Vater war. Außerdem würde Hayla niemals zu einem Aufstand aufrufen. Sie hasst Blutvergießen und möchte nichts weiter als in Ruhe und Frieden leben.« Bosgard brach ab und senkte schnell den Blick, aber da hatte Ilvy bereits den feuchten Schimmer in seinen Augen gesehen.
»Du brauchst dich für deine Gefühle nicht zu schämen«, sagte sie leise. »Es wäre schön, wenn mehr Männer zeigten, was die geliebte Frau für sie bedeutet, anstatt sich immer nur stark und tapfer zu geben. Was in meiner Macht steht, werde ich tun, um dir zu helfen. Jetzt sollten wir schlafen gehen, es ist spät geworden.«
Bosgard erhob sich, doch bevor er die Schankstube verließ, nahm er Ilvy in den Arm und drückte sie fest.
»Wenn du dich jemals dazu entschließen solltest, das Gasthaus aufzugeben und ein ehrbares Leben zu führen, dann komm zu mir. Du wirst von mir jede Unterstützung erhalten, die du brauchst.«
Sie lachte hell auf. »Ich und ehrbar? Ach, Bosgard, das passt irgendwie nicht zusammen, oder? Aber danke für das Angebot, man weiß ja nie, wohin das Leben einen treibt.«
Zwei Tage später erfuhr Bosgard, was er wissen wollte. Es war mitten in der Nacht, als Ilvy leise an seine Kammertür klopfte.
»Der letzte Kunde ist
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