Geliebter Normanne
ungewöhnlich unruhig war und seinem Blick auswich. Des Königs Verhalten bestätigte seine Vermutungen. »Ich werde über alles, was Ihr mir erzählt habt, schlafen und Euch morgen meine Entscheidung mitteilen.« Bosgard wandte sich zum Zeltausgang, da legte der König eine Hand auf seine Schulter. »Bosgard de Briscaut, ich hoffe nicht nur für Euch, sondern auch für mich, dass Ihr die Wahrheit sprecht. Wir leben in unruhigen und gefährlichen Zeiten, da wäre es mir arg, einen Mann, der einst mein Freund war, töten zu müssen. Wenn ich jedoch erfahre, dass Ihr mich in eine Falle locken wollt, dann wird meine Hand persönlich das Schwert führen, das Euch den Kopf abschlägt. Ihr versteht?«
Bosgard beugte das Knie und murmelte: »Ihr habt Euch deutlich genug ausgedrückt, Sire, und ich versichere Euch erneut meine absolute Treue und Ergebenheit. Mein Schicksal und das Schicksal der Frau, die ich liebe, liegen in Eurer Hand, mein König.«
Das Licht der aufgehenden Sonne tauchte die Wiesen und Felder in einen goldenen Schimmer. Der Tau der Nacht lag auf den Sträuchern, in denen Spinnen feine Netze gewebt hatten. Hayla roch den Duft der Blüten und von frisch gemähtem Gras, und sie war unendlich glücklich. Eben hatten sie und Bosgard sich im feuchten Gras geliebt, und es war so schön wie nie zuvor gewesen. Hayla wandte den Kopf und betrachtete den noch schlafenden Geliebten. Seine hohe Stirn, die vorspringende, wohlgeformte Nase und seine vollen Lippen, die sie unermüdlich liebkosen wollte. Als Hayla sich vorbeugte, um seinen Mund zu küssen, schlug er die Augen auf. Es waren jedoch nicht Bosgards hellgraue Augen, in die sie blickte, sondern die dunklen, bösen von Ralph Clemency. Seine Züge verwandelten sich in eine Fratze, und plötzlich fühlte Hayla sich wie von hundert Armen umklammert, unfähig, sich zu bewegen, und Ralphs heißer Atem streifte ihr Gesicht, als er zischte: »Ich krieg dich noch!«
Mit einem Schrei wachte Hayla auf. Sie zitterte, und die Tunika klebte an ihrem schweißnassen Körper. Hektisch fuhr sich Hayla über die Stirn. Es war nur ein Traum gewesen. Einer der unzähligen Träume, die sie Nacht für Nacht heimsuchten. Hayla dachte zumindest, dass es Nacht wäre, wenn sie schlief, denn in der fensterlosen Zelle hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Obwohl ihre Träume immer andere waren, beinhalteten sie doch stets das Gleiche: Sie und Bosgard waren frei und glücklich, doch dann kam Ralph Clemency und versetzte sie in Angst und Schrecken. Hayla liefen Tränen über die Wangen, denn die Träume waren alles, was ihr von Bosgard und ihrer Liebe geblieben war. Wo er jetzt wohl war? Zürnte er ihr, oder hasste er sie sogar, weil sie ihn verlassen hatte? Sie würde es niemals erfahren und konnte nur für Bosgard beten, dass er nicht so dumm war zu versuchen, sie zu befreien. Wer einmal hier unten in den Verliesen des Towers saß, für den gab es kein Entkommen. Sie war so gut wie tot. Hayla war klug genug zu erkennen, dass sie in der kalten, feuchten und lichtlosen Zelle nicht so lange überleben würde, bis der König von seinem Feldzug zurückkehrte. Seit ein paar Tagen litt sie an Husten, und sie fühlte sich matt und müde. Zwar bekam sie regelmäßig zu essen, und die Speisen waren sogar recht genießbar, auch gab man ihr einen Krug Bier am Tag, dennoch war sie nicht kräftig genug, um noch Monate in dem Kerker zu überstehen. Die Wachen wechselten nur wenige Worte mit ihr. Vor zwei Tagen – oder waren es bereits drei? – hatte sie gefragt, wie lange sie nun schon hier war, und der Wärter hatte nur die Holzschüssel mit dem Hirsebrei hingestellt und ihr keine Antwort gegeben. Entmutigt kauerte Hayla sich in der Ecke zusammen und schlang die Arme um die angezogenen Knie. Die Einsamkeit war beinahe so schlimm wie die Gewissheit, sterben zu müssen. Obwohl es schmerzte, erinnerte sich Hayla an jeden einzelnen Moment mit Bosgard – von dem Tag an, als er sie vor dem Überfall durch Ralph Clemency gerettet hatte, bis zu ihrer letzten Liebesnacht, nach der sie ihn verlassen hatte. Im Geiste hörte sie Bosgards Stimme und roch seinen männlichen Duft. Was würde sie dafür geben, ihn noch einmal sehen zu dürfen! Nur noch ein einziges Mal sich in seine Arme zu schmiegen, ihn zu küssen und sagen zu können, wie sehr sie ihn liebte.
Das Rasseln des Schlüssels im Schloss riss Hayla aus ihren Gedanken. Die Tür schwang auf, und zwei Wachmänner traten in die Zelle. Der eine
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