Geliebtes Monster
Monster?«
»Es kam mir so in den Sinn.«
Maureen fixierte Sheila. »Das glaube ich dir nicht. Nein, das glaube ich dir nicht. Aber du hast mich etwas gefragt, und ich werde dir eine Antwort geben. Dieses Recht steht jedem verurteilten Menschen zu, und ich habe dich bereits verurteilt. Er ist ein Phänomen. Ich habe ihn gefunden, ja, ich habe ihn gefunden.«
»Und wo?«
»In einem Wald. Dort lebte er allein. Jahrelang. Er war ein Mensch, aber nicht direkt, denn er konnte weder sprechen noch laufen. Alles mußte ich ihm beibringen, bis er es endlich nach einem Jahr geschafft hatte. Aus ihm wurde sogar ein attraktiver Mann, in den ich mich – verliebte, auch wenn er sich oft verwandelte.«
»In der Nacht?«
»Sehr gut, Sheila. Ja, in der Nacht nahm er tatsächlich seine zweite Existenz an. Da wurde er zum Monster.«
»Wie ein Werwolf«, flüsterte sie. In den Augen der Frau leuchtete es kurz auf. »Du weißt wirklich gut Bescheid.«
»Ich habe darüber gelesen.«
»Grusel-Fan?«
»Hin und wieder.«
»Sehr schön, dann brauche ich dir nicht viel zu erklären. Allerdings kannst du beruhigt sein, ein Werwolf ist er nicht, obwohl ich ihn nicht als ungefährlicher einschätze, das Mal vorweg. Er trägt einen Keim in sich, und dieser Keim war bereits vorhanden, bevor ich Beau überhaupt fand. Es ist etwas mit ihm geschehen. Er hat eine Begegnung mit einem Wesen gehabt, das diesen Keim legen konnte. Es mußt jemand aus dem tiefen Wald gewesen sein, ein Ungeheuer, ein Untier, in dessen Blut dieser Keim gewesen ist, denn er hat ihn auf Beau übertragen. Derjenige, der den Keim gelegt hat, ist nicht mehr vorhanden. Es gibt ihn nicht mehr. Er ist einfach verschwunden. Gestorben oder so, aber ich kann dir sagen, daß Beau dessen Erbe voll übernommen hat.«
»War es ein Tier?«
Maureen hob die Schultern. »Er spricht nicht darüber.«
»Und Sie können nichts machen?«
Maureens Mund verließ ein helles Lachen. »Ich will nichts machen. Er gefällt mir so, wie er ist. Wer immer ihn auch gebissen hat, ob es nun ein Werwolf gewesen oder eine andere Bestie, sie wird in ihm weiterleben, denn er ist zweierlei. Einmal der Mensch und einmal das Tier. Wie oft wird gesagt, daß in einem Menschen noch so etwas wie ein Tier wohnt? Wir müssen es von unseren Urahnen herübergerettet haben. Und so ist es auch bei Beau gewesen. Er ist Mensch und Bestie zugleich. Nur ist es bei ihm nicht versteckt. Es bricht hervor, es verschafft sich freie Bahn und schlägt zu. Ein Tier muß Beute machen, und das muß mein geliebtes Monster auch.«
Sheila kostete es große Mühe, ruhig sitzen zu bleiben und sich nicht zu schütteln. Was man ihr da gesagt hatte, klang ungeheuerlich, aber es mußte einfach die Wahrheit sein, auch wenn sie schwer zu begreifen war. Was immer diesem Menschen im Wald begegnet war, es konnte mit einem normalen und logischen Gedankengang nicht erfaßt werden, weil es auch nicht von dieser Welt stammte. Mensch plus Tier gleich Bestie.
So lautete die Formel, aber auch dieses Wesen mußte irgendwann einmal geschaffen worden sein, und danach erkundigte sich Sheila.
»Wer sind seine Eltern oder Erzeuger gewesen?« Maureen hob die Schultern.
Aber Beau meldete sich und bewies damit, daß er die gesamte Zeit über zugehört hatte. »Der Teufel!« sagte er knirschend. »Der Teufel und eine Hexe. Sie haben gebuhlt, sie haben es miteinander getrieben, und ich bin daraus entstanden. Ein Wechselbalg, ein unförmiges Etwas. Nicht Mensch und nicht Tier, sondern eine Kreatur, in der das Blut beider fließt und in sich das Böse vereint.«
Sheila staunte nicht so sehr über die Antwort, sondern mehr wegen Maureen Wilder. Denn sie machte den Eindruck, als hätte sie in dieser Minute zum erstenmal die Wahrheit über das Geschöpf erfahren, was für sie nicht so leicht zu verkraften war.
Schräg stand Beau vor ihr. Er hatte seine Arme vom Körper abgespreizt und die Klauen zu Fäusten geballt. Das Zittern seines Körpers übertrug sich auch auf die verunstalteten Hände, und es war schon mehr ein Beben, das durch seine Gestalt ging. Das Gesicht glänzte schweißnaß und ölig. Der Mund stand offen, und tief in der Kehle gurgelte er auf.
»Warum hast du es mir nicht vorher gesagt?« fragte Maureen leise.
»Ich wollte es nicht.«
»Aber jetzt weiß ich Bescheid.« Sie nickte ihm zu. Dabei lächelte sie.
Dann ging sie auf ihn zu. »Du brauchst keine Furcht davor zu haben, daß ich dich jetzt weniger mag, Beau. Im Gegenteil, ich bin
Weitere Kostenlose Bücher