Gelinkt
sowie Toilette mit anderen Parteien teilen mußte.
Ihr Büro in der KGB-Stasi-Kommandozentrale war hell, es lag ein Schaffellteppich darin, und der Kiefernholzschreibtisch war aus Finnland importiert, was man als Statussymbol verstand. Wichtiger noch war, daß man ihr einen fünfzigjährigen Sekretär namens Hubert Renn zugeteilt hatte, der fließend Russisch, etwas Französisch sowie ein bißchen Englisch sprach und die Diktate mitstenografierte. Renn war überzeugter Kommunist, ein Typus, den nur Berlin hervorgebracht hat und der inzwischen fast ausgestorben war.
Er war der Sohn eines Maurers und mit fünfzehn Geschwistern in drei Zimmern einer Mietskaserne an einer mit Kopfsteinen gepflasterten Passage im Wedding aufgewachsen. In den zwanziger Jahren war der Rote Wedding so durch und durch kommunistisch gewesen, daß sogar die Verwaltung des Wohnblocks in den Händen von Parteifunktionären gelegen
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hatte. Renns Mutter war Mitglied des ISK, Internationalen Sozialistischen Kampfbunds, gewesen, einer sozialistischen Splittergruppe, deren strenge Sitten den Mitgliedern Verzicht auf Alkohol, Tabak und Fleisch vorschrieben. Die Mitgliedschaft endete allerdings mit ihrer Verheiratung, denn nur Vollzeitarbeiter konnten dem ISK angehören. Klein, beweglich, unterernährt und immer kampfbereit, war Renn überdies auch tüchtig. Typisch für seine Bedürfnislosigkeit und praktische Lebenseinstellung war, daß er eine Sammlung von Sicherheitsnadeln, Stecknadeln und sogar eine Nähnadel für alle Fälle unter den Revers seines Jacketts stets bei sich trug.
Als Fiona ihrem neuen Sekretär zum ersten Mal begegnete, hatte sie das Gefühl, ihn schon von irgendwoher zu kennen.
Dieser Vertrautheit lag aber nur ihre Erinnerung an alte Fotos zugrunde, die Leute in den Straßen von Berlin zeigten.
Unabhängig von diesem Gefühl sollte sie bald entdecken, daß trotz dieser Ähnlichkeit Renn niemandem glich, dem sie je im Leben begegnet war. Mit seinem dicken Hals, seinem trotzigen roten Gesicht, seinen ruinösen Zähnen und dem
kurzgeschnittenen Haar hätte er einem Stück von Brecht entsprungen sein können. Der kleine Hubert Renn hatte die erste Unterweisung in den Prinzipien des Marxismus-Leninismus erhalten, als er noch in der verbeulten Zinnbadewanne lag, die ihm auch als Kinderbett dienen mußte.
Der ISK, der ein Kampfbund nicht nur dem Namen nach war, verwarf Marxens Theorie von der Unvermeidlichkeit des Zusammenbruchs des Kapitalismus. Die absolute
Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes war Gegenstand endloser Diskussionen der Eltern gewesen, solange er denken konnte. Nach einer solchen Erziehung gab es für Renn auf dem Gebiet linker Phraseologie nichts mehr dazuzulernen. Selbst Pawel Moskwin, ein brutaler Kerl mit Rückendeckung aus Moskau, mit dem Fiona an diesem Morgen aneinandergeraten war, kam bei politischen Diskussionen gegen Renn nicht an.
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Aber Renn machte keine schönen Worte über den »Deutschen Weg zum Sozialismus« oder verschwendete seine Zeit auf Diskussionen, warum auf dem entscheidenden Parteitag 1946
die erklärten Ziele der Partei an Marx und Engels und nicht an Lenin und Stalin orientiert worden waren. Renn, der diesen historischen Parteitag miterlebt hatte, fragte statt dessen nur etwas schelmisch, weshalb man diesen im Admiralspalast abgehalten habe, der eigentlich doch als Operettentheater berühmt sei. Mein Vater war Anarchist, sagte er einmal, als sie von Abweichlern sprachen, zu Fiona. Und das war der Schlüssel zu Renns Charakter, denn in seiner Seele war auch Renn Anarchist. Fiona fragte sich, ob er das nicht selber merkte. Vielleicht war es ihm inzwischen egal. Von denen, die ihr ganzes Leben lang vergeblich auf das Millennium gewartet hatten, wurden viele zuletzt so fatalistisch. Renns Charakterisierung Pawel Moskwins, »ein brutaler Kerl mit Rückendeckung aus Moskau«, wurde Fiona aus freien Stücken offeriert, noch ehe sie selbst dem Mann begegnete. Und überhaupt nahm Renn kein Blatt vor den Mund, gleichviel, von wem die Rede war. Während der ersten Wochen hatte Fiona den Verdacht, man habe ihr diesen exzentrischen alten Knaben als Agent provocateur ins Büro gesetzt, oder weil sonst keiner mit so einem Sonderling klarkam. Es dauerte aber nicht lange, bis sie begriff, daß die bürokratischen Prozeduren in der DDR
das gar nicht vorsahen. Selbst Leute in den höchsten Positionen konnten sich ihre Sekretäre nicht ohne weiteres selbst aussuchen, und der alte Renn
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