Gelinkt
lernen!
»Ich werde Ihnen ein Geheimnis verraten«, erklärte Renn, als sie ihm den belanglosen Brief zurückreichte, den er eben von seiner Tochter erhalten hatte.
»Was denn, Herr Renn?«
»Sie werden eine Auszeichnung erhalten, Frau Direktor.« »Eine Auszeichnung? Davon habe ich noch nichts gehört.«
»Welche Auszeichnung Ihnen verliehen werden soll, muß noch entschieden werden, aber die heroischen Jahre Ihrer Tätigkeit in England für die Revolution sollen mit einer Auszeichnung gewürdigt werden. Moskau hat den Vorschlag gebilligt, und womöglich erhalten Sie auch noch einen Orden der DDR.«
»Ich bin überwältigt, Herr Renn.«
»Ehre, wem Ehre gebührt, Frau Direktor Samson.« Renn war überrascht von der Leichtigkeit, mit der Fiona sich in Berlin eingearbeitet hatte. Er hatte keine Ahnung, in welchem Ausmaß Fionas Erziehung in England sie auf das kommunistische Regime vorbereitet hatte. Im Internat hatte sie schnell gelernt, jedes menschliche Gefühl zu verbergen: Triumph, Enttäuschung, Freude, Liebe oder Scham. Ihr autoritärer Vater hatte ihr die Kunst des Hinhaltens und den Wert der Ausrede vorgelebt. Überhaupt charakterisierten in der Mittelschicht, der sie entstammte, grausamer Doppelsinn, indirekte Fragen und demütigende Gleichgültigkeit den zwischenmenschlichen Verkehr. Die Prüfungen, die sie da bestanden hatte, gaben ihr die Gewähr, den Gefahren OstBerlins gewachsen zu sein. Andererseits ahnte Renn natürlich nichts von Fionas Depressionen, der Sehnsucht nach ihren Kindern, der Stunden selbstmörderischer Verzweiflung und Einsamkeit.
Fiona, die im Büro mit streng zurückgekämmten Haaren erschien – was zu ihrer Rolle paßte, ihr jedoch auch zu Gesicht stand –, wenig Make-up auflegte und bald leicht berlinerte, wurde längst als ordentliches Mitglied der Berliner KGB-StasiMannschaft akzeptiert.
Ihr Büro befand sich nicht im Hauptgebäude an der Normannenstraße in Lichtenberg. Renn hatte sie darauf hingewiesen, daß es kein Vergnügen war, mit den Scharen, die sich nach Dienstschluß aus dem riesigen Gebäudekomplex dort die Treppen zum U-Bahnhof Magdalenenstraße hinunterkämpften, seinen Feierabend zu beginnen. An der Karl-Liebknecht-Straße zu arbeiten hatte viele Vorteile.
Von hier aus waren die Geschäfte, Kneipen und Theater des Bezirks Mitte bequem zu Fuß zu erreichen; die Straße Unter den Linden mündete ja in die Karl-Liebknecht-Straße. Hubert Renn natürlich bevorzugte die Adresse, weil man es von dort nicht weit hatte zu den anderen Behörden, die er häufig besuchen mußte, und auch der S-Bahnhof Alexanderplatz, von dem aus er abends nach Hause fuhr, lag in bequemer Nähe. »Ich habe einen Wagen für vierzehn Uhr fünfzehn bestellt«, sagte Renn. Er hielt inne, um den pelzgefütterten Mantel zu bewundern, den Fiona gerade gekauft hatte. Weil sie Spekulationen über ihre Finanzen keine Nahrung geben wollte, hatte Fiona lange überlegt, was für einen Wintermantel sie tragen sollte. Hubert Renn hatte das Problem gelöst, indem er ihr eine Genehmigung besorgte, mit der sie für Ostgeld einen von den schicken Mänteln kaufen konnte, die sonst nur in Devisenläden zu haben waren. »Sie haben einen Termin in der Klinik für Nervenkrankheiten um fünfzehn Uhr«, sagte Renn. »Ich werde dafür sorgen, daß der Fahrer sich zurechtfindet. Es ist in Pankow, nicht weit vom Ende der Autobahn. Ein Labyrinth von kleinen Straßen, da kann man sich leicht verirren.«
»Danke, Herr Renn. Liegt irgendwas Besonderes an?« Renn hatte einen Gesichtsausdruck, der ihr fremd an ihm war. »Nichts Besonderes, Frau Direktor. Ein Anstandsbesuch. Sie treffen dort Dr. Wieczorek.«
»Kann Dr. Wieczorek nicht hierher kommen?« Renn vertiefte sich in die Papiere, die auf dem Aktenschrank lagen.
»Es ist üblich, sich dort vorzustellen«, sagte er steif, ohne sich umzudrehen.
Fast hätte sie gesagt, das klinge ja sehr geheimnisvoll, und sich darüber lustig gemacht, doch wußte sie inzwischen, daß Späße dieser Art im Osten ins Auge gehen konnten. So sagte sie nur: »Muß ich irgendwelche Papiere oder Akten mitnehmen?«
»Nur ein Notizbuch, Frau Direktor.«
»Wieso? Werden Sie denn keine Notizen machen?« Das überraschte sie.
»Ich darf bei Besprechungen mit Dr. Wieczorek nicht anwesend sein.«
Sie sah ihn an, aber er drehte sich nicht um. »In dem Fall«, sagte sie, »werde ich vielleicht ein bißchen früher zu Tisch gehen. Übrigens, Herr Renn …«
»Ja, Frau Direktor?«
»Es gibt da einen Arzt,
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