Gelinkt
Henry Kennedy … Hier, ich schreibe Ihnen den Namen auf.« Sie reichte ihm den Zettel, und er las ihn sorgfältig, als wäre vielleicht in dem Namen eine verborgene Bedeutung zu entdecken. »Er kommt aus London, er hat einen Jahresvertrag mit der Charité …«
»Ja, Frau Direktor?«
»Für die Aufenthaltsgenehmigung hat man ihn doch sicherlich überprüft, nicht wahr?«
»Ja. Frau Direktor.«
Die nächste Frage wollte sie so beiläufig wie möglich vorbringen. »Könnte ich mir die Akte mal ansehen?«
»Sie befindet sich aber nicht hier im Gebäude, Frau Direktor.« Sie sah ihn an. »Ich kann sie mir jedoch mal ansehen.«
»Ich brauche weder die Akte noch eine Kopie.«
»Sie müssen nur wissen, daß da keine Komplikationen vorliegen«, schlug Renn vor.
»Genau, Herr Renn. Der Mann ist ein Bekannter von mir. Ich werde ihn ab und zu sehen müssen.«
»Alles klar, Frau Direktor.«
Pankow war seit langem eine der bevorzugten Wohngegenden im Zentrum der Stadt. Hier wurden Abendgesellschaften gegeben, zu denen elegant gekleidete Bürger der DDR in importierten Autos vorführen. Und hier gab es, wie Fiona staunend entdeckte, Haushalte, die über im Haus wohnende Hausangestellte verfügten.
Doch die Klinik lag nicht in der gesündesten Gegend von Pankow. Das Gebäude war dreistöckig, mit einer Fassade aus imitiertem Marmor. Der düstere neoklassizistische Stil, die monumentalen Proportionen und die Pockennarben der Granateinschläge wiesen es als überlebendes Beispiel der Architektur des Dritten Reichs aus. Sie war dankbar für ihren schönen pelzgefütterten Mantel. Es schneite: große Flocken, die wie Scheiben vom Himmel wirbelten und unter den Füßen knirschten. Die Temperatur war mit einer Plötzlichkeit gefallen, auf die selbst die hier Ansässigen nicht gefaßt waren, und die Straßen waren ruhig. Der Fahrer fand die Klinik ohne Mühe. Das Gebäude war von einer Mauer umgeben, in der sich für ihren Wagen ein Tor öffnete. Der Haupteingang lag über einer breiten Freitreppe, flankiert von Reliefs, die Säulen andeuteten. Ein tief in der Wand oberhalb der Tür eingelassener Lichtgaden versorgte die Eingangshalle mit weichem, grauem Licht. Ein Mosaik blumenwerfender römischer Mädchen bedeckte den Fußboden, und die Türen ringsum waren geschlossen. Dr. Wieczoreks Name war auf ein Holzbrettchen gemalt, das mit den anderen Namenschildchen der an diesem Tage diensthabenden Oberärzte in einer großen Anzeigetafel hinter dem Empfangspult an der Wand steckte.
»Ja?« Der Pförtner war ein junger Mann mit schwarzem Haar, in das er eine großzügig bemessene Menge Haarcreme gestrichen hatte. Er trug ein graues Jackett aus Waschleinen, ein weißes Hemd, schwarze Krawatte. Das schien eine Art Uniform zu sein. Er schrieb etwas in ein Buch und sah nicht auf.
»Dr. Samson«, sagte Fiona. Das tiefe Vertrauen der Deutschen in Doktortitel, gleich welcher Art, hatte sie kürzlich dazu bewogen, sich bei solchen Gelegenheiten ihres akademischen Grades zu bedienen.
»Sie wünschen?« Der junge Mann sah noch immer nicht auf.
»Stehen Sie auf, wenn Sie mit mir reden«, sagte Fiona. Sie hob die Stimme nicht, aber der Ton genügte, dem jungen Mann in Erinnerung zu rufen, daß an diesem Nachmittag Besuch von der Stasi erwartet wurde.
Er sprang blitzartig auf und schlug die Hacken zusammen. »Ja, Frau Doktor?«
»Bringen Sie mich zu Dr. Wieczorek.«
»Dr. Wieczorek … Herr Dok, Dok, Dok…«, stotterte der junge Mann, ganz rot im Gesicht.
»Sofort! Ich komme in einer staatlichen Angelegenheit«, sagte Fiona.
»Sofort, Frau Doktor. Ja, sofort.«
Dr. Wieczorek war ein eleganter vierzigjähriger Facharzt, der am Serbsky-Institut für forensische Psychiatrie in Moskau und an der bekannten Nervenklinik, die zum TschernlachowskGefängnis gehörte, studiert hatte, und dessen Betragen den erfahrenen Mediziner verriet. Sein welliges Haar begann an den Schläfen schon grau zu werden. Unter seiner weißen Jacke trug er ein elegantes Hemd und eine seidene Krawatte. Seine feste Stimme und onkelhafte Art wirkten sofort entspannend auf sie, wie auch seine Bereitwilligkeit, über die Bürokratie zu spotten, mit der er dauernd zu kämpfen hatte und die er so selten besiegte. »Kaffee?«
»Nein, danke«, sagte Fiona. Durch die Bereicherung der Einrichtung um einen Orientteppich und eine alte Uhr, die die Stunden schlug, war versucht worden, das strenge, kleine Büro wohnlicher zu machen.
»Tee? Tee mit Milch?« Er lächelte. »Das war das einzige, was ich
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