Gelinkt
endlich erwachte, glaubte sie für einen Augenblick, daß alles ein schrecklicher Traum gewesen, daß sie daheim in London und ihr Leben in Ordnung sei. Sie zog die Bettdecke übers Gesicht und verweilte, ohne sich zu rühren, während sie sich allmählich mit der bizarren Welt abfand, in die sie geraten war.
Nach der schrecklichen Begegnung mit ihrem Mann wurde für Fiona der Einstieg und das Einleben in Ost-Berlin erträglicher. Die Verhöre schienen sich endlos hinzuziehen, aber Bret Rensselaer hatte an so ziemlich alles gedacht, und die vorbereiteten Antworten schienen die Männer, die die Fragen stellten, zu befriedigen.
Der Personalchef des KGB hatte sich große Mühe gegeben, es ihr so behaglich wie möglich zu machen, und das winzige Apartment mit dem harten Bett und der altmodischen Küche war schätzenswert genug, wenn man bedachte, daß man in der Hauptstadt der DDR normalerweise zu mehreren in einem Zimmer hauste und Küche sowie Toilette mit anderen Parteien teilen mußte.
Ihr Büro in der KGB-Stasi-Kommandozentrale war hell, es lag ein Schaffellteppich darin, und der Kiefernholzschreibtisch war aus Finnland importiert, was man als Statussymbol verstand. Wichtiger noch war, daß man ihr einen fünfzigjährigen Sekretär namens Hubert Renn zugeteilt hatte, der fließend Russisch, etwas Französisch sowie ein bißchen Englisch sprach und die Diktate mitstenografierte. Renn war überzeugter Kommunist, ein Typus, den nur Berlin hervorgebracht hat und der inzwischen fast ausgestorben war. Er war der Sohn eines Maurers und mit fünfzehn Geschwistern in drei Zimmern einer Mietskaserne an einer mit Kopfsteinen gepflasterten Passage im Wedding aufgewachsen. In den zwanziger Jahren war der Rote Wedding so durch und durch kommunistisch gewesen, daß sogar die Verwaltung des Wohnblocks in den Händen von Parteifunktionären gelegen hatte. Renns Mutter war Mitglied des ISK, Internationalen Sozialistischen Kampfbunds, gewesen, einer sozialistischen Splittergruppe, deren strenge Sitten den Mitgliedern Verzicht auf Alkohol, Tabak und Fleisch vorschrieben. Die Mitgliedschaft endete allerdings mit ihrer Verheiratung, denn nur Vollzeitarbeiter konnten dem ISK angehören. Klein, beweglich, unterernährt und immer kampfbereit, war Renn überdies auch tüchtig. Typisch für seine Bedürfnislosigkeit und praktische Lebenseinstellung war, daß er eine Sammlung von Sicherheitsnadeln, Stecknadeln und sogar eine Nähnadel für alle Fälle unter den Revers seines Jacketts stets bei sich trug.
Als Fiona ihrem neuen Sekretär zum ersten Mal begegnete, hatte sie das Gefühl, ihn schon von irgendwoher zu kennen. Dieser Vertrautheit lag aber nur ihre Erinnerung an alte Fotos zugrunde, die Leute in den Straßen von Berlin zeigten. Unabhängig von diesem Gefühl sollte sie bald entdecken, daß trotz dieser Ähnlichkeit Renn niemandem glich, dem sie je im Leben begegnet war. Mit seinem dicken Hals, seinem trotzigen roten Gesicht, seinen ruinösen Zähnen und dem kurzgeschnittenen Haar hätte er einem Stück von Brecht entsprungen sein können. Der kleine Hubert Renn hatte die erste Unterweisung in den Prinzipien des MarxismusLeninismus erhalten, als er noch in der verbeulten Zinnbadewanne lag, die ihm auch als Kinderbett dienen mußte. Der ISK, der ein Kampfbund nicht nur dem Namen nach war, verwarf Marxens Theorie von der Unvermeidlichkeit des Zusammenbruchs des Kapitalismus. Die absolute Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes war Gegenstand endloser Diskussionen der Eltern gewesen, solange er denken konnte. Nach einer solchen Erziehung gab es für Renn auf dem Gebiet linker Phraseologie nichts mehr dazuzulernen. Selbst Pawel Moskwin, ein brutaler Kerl mit Rückendeckung aus Moskau, mit dem Fiona an diesem Morgen aneinandergeraten war, kam bei politischen Diskussionen gegen Renn nicht an. Aber Renn machte keine schönen Worte über den »Deutschen Weg zum Sozialismus« oder verschwendete seine Zeit auf Diskussionen, warum auf dem entscheidenden Parteitag 1946 die erklärten Ziele der Partei an Marx und Engels und nicht an Lenin und Stalin orientiert worden waren. Renn, der diesen historischen Parteitag miterlebt hatte, fragte statt dessen nur etwas schelmisch, weshalb man diesen im Admiralspalast abgehalten habe, der eigentlich doch als Operettentheater berühmt sei. Mein Vater war Anarchist, sagte er einmal, als sie von Abweichlern sprachen, zu Fiona. Und das war der Schlüssel zu Renns Charakter, denn in seiner Seele war auch Renn
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