Gelinkt
Fenstern sowie die Schwierigkeit, aus der obersten Etage eines Gebäudes, wo es auf jeder Etage spähende Kameras und bewaffnete Posten gab, ins Erdgeschoß hinunterzugelangen, reichten aus, jeden, der nicht vollkommen wahnsinnig war, von Fluchtversuchen abzuhalten. Bernard war von einem liebenswürdigen KGB-Offizier namens Erich Stinnes vernommen worden. Er sprach das gleiche berlinisch gefärbte Deutsch, mit dem Bernard aufgewachsen war, und in vieler Hinsicht stimmten die Anschauungen der beiden Männer überein. »Wer kriegt die Beförderungen und die dicken Gehälter? Bürohengste, die die richtigen Beziehungen zu den richtigen Bonzen haben«, sagte Stinnes erbittert. »Sie können von Glück sagen, daß Ihnen nicht immer und überall die verdammte Partei in die Quere kommt.«
»Haben wir auch«, sagte Bernard. »Bei uns heißt es Eton und Oxbridge.«
»Soll das etwa ein Arbeiter- und Bauernstaat sein?«
»Wird diese Unterhaltung aufgenommen?« fragte Bernard.
»Damit sie mich zu Ihnen ins Gefängnis setzen? Halten Sie mich für verrückt?«
Es war die weiche Tour, nach der man gewöhnlich von einem brutalen, abgebrühten Typen in die Mangel genommen wurde, aber Stinnes erwartete einen KGB-Oberst aus Moskau, der sich dann als Fiona Samson aus London entpuppen sollte. Zu dieser Zeit kamen Bernard Samson schon erste Vermutungen, was geschehen würde. Einige der Hinweise, die Bret Rensselaer der anderen Seite so listig zugespielt hatte, waren auch dem zunehmend besorgten Bernard nicht entgangen. Die Entdeckung, daß seine Frau ein Oberst des KGB war, erschien Bernard als ein Verrat von so ungeheuren Dimensionen, daß ihm dabei körperlich übel wurde. Aber die Wirkung dieser Entdeckung und das dadurch verursachte Leiden kamen schließlich dem gleich, das andere Männer bei der Entdeckung leiden mußten, daß ihre Frau sie mit einem anderen Mann betrügt. Für jeden gibt es eine Schwelle, über die hinaus der Schmerz nicht steigt.
Für Fiona kam zum eigenen Schmerz das Schuldgefühl, dem Mann, der sie liebte, Schmerz zuzufügen. Sie war sehr müde – und hatte nach der Reise rasende Kopfschmerzen – an dem Morgen, da ihr Bernard vorgeführt wurde. Es war eine Prüfung – vielleicht die härteste überhaupt – ihrer Fähigkeit, ihrer Überzeugung und ihrer Entschlossenheit, ihre Rolle auch dann weiterzuspielen, wenn sie Bernards Haß und Verachtung gegenübersaß.
Schmutzig und unrasiert brachte ihn ein Wächter herein. Seine Augen starrten sie auf eine Weise an, die ihr ganz fremd war. Es war ein grauenhafter, haßerfüllter Blickwechsel, aber sie spielte ihre Rolle, entschlossen, Bernard keinen Hoffnungsschimmer sehen zu lassen. Nur seine Verzweiflung konnte sie schützen. Es stand ein Tablett mit einer Kaffeekanne und Tassen auf dem Schreibtisch, aber Kaffee wollte Bernard nicht. »Gibt’s denn in diesem Büro nichts zu trinken?« fragte er. Sie fand eine Flasche Wodka und gab sie ihm. Er goß ihn in eine Tasse und nahm einen großen Schluck. Armer Bernard. Sie fürchtete plötzlich, dies könnte der Anfang eines langwährenden Besäufnisses sein. »Du solltest weniger trinken«, sagte sie. »Du machst es einem nicht gerade leicht«, sagte er. Er lächelte grimmig und schenkte sich wieder ein.
»Der D.G. wird dir natürlich raushelfen«, sagte sie gelassener, als ihr zumute war. »Du kannst ihm sagen, daß die offizielle Linie hier sein wird, nichts über meinen Seitenwechsel verlauten zu lassen. Ich nehme an, das wird ihm ganz recht sein nach all den Skandalen, die das Department im vergangenen Jahr durchgemacht hat.«
»Ich werde es ihm sagen.«
Sie beobachtete ihn, er war ganz grün geworden. »Schnaps auf nüchternen Magen ist dir noch nie bekommen«, sagte Fiona. »Ist dir schlecht? Brauchst du einen Arzt?«
»Zum Kotzen finde ich nur dich«, sagte er.
Sie konnte es nicht länger ertragen. Sie drückte einen Knopf unter dem Schreibtisch, und der Wächter kam, um ihren Mann abzuführen. Wider alle Disziplin und wider besseres Wissen entfuhr es ihr: »Lebewohl, Liebling. Kriege ich einen letzten Kuß?«
Aber Bernard dachte, sie wollte ihn verhöhnen. »Nein«, sagte er und wandte sich ab.
Sobald Bernard durch den Checkpoint Charlie geschleust und nach West-Berlin entlassen worden war, gab Fiona vor, ausruhen zu müssen, und kehrte in das Hotel zurück, wo man sie fürs erste untergebracht hatte. Sie nahm ein langes, heißes Bad, zwei Schlaftabletten und ging zu Bett. Sie schlief rund um die Uhr. Als sie
Weitere Kostenlose Bücher