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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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lernte, war propusk – einer der wichtigsten Begriffe im Sowjetsozialismus. Wir erhielten unseren ersten Passierschein im Anmeldebüro der Komintern, die gegenüber der Kremlmauer in der Mochowaja uliza residierte. Obwohl uns damit der Zugang zum Gebäude freigegeben war, begleitete uns ein Genosse vom Sicherheitsdienst. Damit nicht genug, ließen sich die auf jeder Etage mit aufgepflanztem Bajonett stehenden Posten mindestens sechsmal unsere Papiere vorweisen. Begeistert registrierte ich, dass die revolutionäre Wachsamkeit hier wirklich ernst genommen wurde.
    Die Geheimabteilung OMS nahm das ganze oberste Stockwerk ein, von dem aus man über die Kremlmauer hinweg die dort patrouillierenden Rotarmisten sehen konnte. Hans wurde (mitsamt Koffer) sofort zum Chef hinter eine gepolsterte und mit Wachstuch beschlagene Tür beordert. Walter und ich blieben im Vorzimmer, wo die uns aus Berlin bekannte Hilde Tal – mit ihrer Tochter Sina hatten wir seinerzeit gespielt – Tee für uns kochte. Da wir Hilde bisher nur als Mutter und Hausfrau kannten, beeindruckte uns ihre Stellung als Chefsekretärin in der geheimsten Abteilung des «Stabes der Weltrevolution» über alle Maßen. Dies umso mehr, als sie in fließendem Russisch telefonierte und (was wir nur durch einen Zufall mitbekamen) sich zwischendurch auch mal in ihrer lettischen Muttersprache unterhielt. Während wir den Tee erstmals auf russische Art genossen, ihn nämlich durch einen zwischen die Zähne geklemmten Bonbon tranken, lauschten wir einigen «Moskauer Verhaltensregeln», mit denen uns Hilde bekannt machte.
    Kurze Zeit nachdem Hans zufrieden – jetzt ohne Koffer – aus dem Arbeitszimmer des Chefs entlassen worden war, kam der oberste Boss persönlich ins Vorzimmer. Abramow-Mirow war nicht groß, sah gepflegt aus und trug eine Hornbrille. Er sprach gut Deutsch und konnte sich angeblich in sämtlichen europäischen Sprachen zu den kompliziertesten Problemen äußern. Ich erstarrte vor Ehrfurcht, als er mir die Hand reichte. Für mich stellten die OMS und ihre Mitarbeiter die Spitze der kommunistischen Elite dar. Ich war überzeugt, dass dieser untersetzte, unauffällige Mensch zu den am besten informierten Geheimdienstlern und den mächtigsten Menschen dieser Erde gehöre. Gewiss war er unbekannt, seine Fotos prangten an keiner Plakatwand, seine Reden wurden nicht veröffentlicht, und doch entschied er maßgeblich über das Schicksal der kommunistischen Bewegung und der antikolonialen Befreiungsarmeen – also über die Zukunft der Menschheit. Dabei konnte er sich natürlich auf die von Marx entdeckte Zwangsläufigkeit des Geschehens verlassen. Womit sich die OMS im Einzelnen beschäftigte, war mir natürlich unbekannt. Fest stand aber, dass sie das revolutionäre Zentrum der Welt war, diejenige Organisation, die den «großen Aufstand» plante und vorbereitete, indem sie Geld, Waffen, Funkausrüstungen usw. in die verschiedensten Länder schmuggelte und an legale und illegale Organisationen, Vereine, Verbände und Zusammenschlüsse verteilte. Der Name OMS wurde übrigens nie genannt. Wenn wir «Eingeweihten» uns ehrfürchtig über diesen wohl geheimsten aller Geheimdienste austauschten, dann sprachen wir allgemein von der «Firma» oder vom «Fünften Stock der Komintern» – allerdings hatte das Kominterngebäude nur vier Stockwerke. Nun waren wir im «Fünften Stock», und der Chef der OMS hatte mir persönlich die Hand gegeben.
    Abramow selbst bin ich nie wieder begegnet, allerdings bin ich noch mehrmals mit seiner Frau Lola Mirowa zusammengetroffen, die vielleicht nicht zu Unrecht einmal als letzte Moskauer grande dame bezeichnet worden ist. Rotblond, groß, äußerst elegant, unterhielt sie trotz aller Hindernisse der sowjetischen Wirklichkeit einen Salon, arbeitete in der außenpolitischen Redaktion der berühmten Tageszeitung Iswestija * und fand obendrein Zeit, sich um die zumeist ausländischen Mitarbeiter ihres Mannes zu kümmern, die Schwierigkeiten mit der Sprache hatten und mit den Moskauer Verhältnissen nicht zurechtkamen. Mir verhalf sie 1935/36 mehrmals zu Aufträgen für die Iswestija . Ich zeichnete kleine Karten zur Illustration der militärischen Operationen in Abessinien und Spanien. Für eine solche Skizze, an der ich drei bis vier Stunden arbeitete, zahlte mir die Zeitungsredaktion 50 Rubel – mehr als mein halbes Monatsgehalt zu dieser Zeit. Lola Mirowa wurde vermutlich 1939 erschossen.
    Da sowohl Hans als auch unsere Mutter

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