Gelöscht (German Edition)
ich verfehle mein Ziel und erwische ihn nur am Bein.
»Aua, Schlampe! Das wird ja lustiger, als ich dachte.« Er geht auf mich los, aber ich kann nicht weglaufen und Ben zurücklassen. Ich habe Angst und in mir brodelt die Wut. Irgendetwas in meinem Inneren zittert und will nur noch aus mir heraus.
Aber dann sieht Wayne über meine Schulter, weicht zurück und rennt weg.
»Kyla? Kyla!«
Jazz rennt den Pfad herauf, dicht gefolgt von Amy.
»Wir haben dich schreien gehört. Was ist passiert?«, ruft er atemlos.
Sag’s ihnen nicht.
»Ben«, antworte ich nur und knie mich neben ihn. »Sein Levo. Ben? Ben, bist du in Ordnung?« Das Gerät vibriert wieder.
»Was ist mit ihm?«, fragt Amy keuchend.
Ich halte seine Hand und schaue auf sein Levo. »3,2.« Mir zittern vor Angst die Hände.
»Oh, Gott«, flüstert Amy.
Ben stöhnt. »In meinem Rucksack. Schnell. Die Pillen.«
Pillen? Ich krame in seinem Rucksack, aber ich finde nur eine Wasserflasche und Ersatzsocken. Doch dann stoße ich auf eine kleine Dose, die ich herausziehe. Auf dem Etikett steht ›Kopfschmerztabletten‹. Sind das die richtigen Pillen?
Ich sehe Amy an, aber sie zuckt nur mit den Schultern. »Kann nicht schaden.«
»Gib mir eine«, stößt Ben hervor.
Ich lege sie ihm in den Mund und er schluckt sie trocken. Ich nehme ihn in den Arm und flehe innerlich, dass es ihm gleich wieder besser geht. Amy sitzt auf dem Boden neben uns und streichelt abwechselnd Bens Hand und meine. Jazz sieht aus, als wolle er direkt losstürzen, um einen Sanitäter zu holen. Doch schnell hört Ben zu zittern auf und in sein Gesicht kommt wieder ein bisschen Farbe. Sein Wert steigt langsam, aber stetig.
Er flüstert mir zu, dass die Pillen von Aiden sind.
Aidens Happy Pills.
Es dauert ein bisschen, bis Ben wieder aufstehen kann. Er wäre wegen mir beinahe ohnmächtig geworden. Irgendwie kann ich Jazz und Amy überzeugen, ein Stück vorauszugehen, damit wir sprechen können. Aber ich achte darauf, dass sie in Sichtweite bleiben.
Bens Arm liegt auf meiner Schulter, er stützt sich ein wenig auf mich und geht sehr langsam. »Es tut mir leid«, flüstert er.
»Es muss dir doch nicht leidtun.«
»Doch, ich wollte dich beschützen. Ich habe versagt.«
»Das ist nicht deine Schuld.«
»Aber ich verstehe es nicht.« Ich spüre ein unangenehmes Ziehen in meinem Bauch: Ich wusste, dass diese Frage kommen würde. »Wie ist es möglich, dass dein Level in Ordnung ist?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber verrate es niemandem, sonst holen sie mich.«
Ben hält an. Er lässt sich meine Antwort durch den Kopf gehen und nickt schließlich.
»Warum hast du Amy und Jazz nicht gesagt, was gerade passiert ist? Wir müssen irgendjemandem von diesem Mann erzählen. Er ist gefährlich.«
»Nein, das geht nicht. Die Spur würde zu Phoebe führen. Sie würden herausfinden, dass ich ihrer Mutter verraten habe, dass sie geslated wurde.«
»Und?«
»So verhält sich kein braver, kleiner Slater. Ich werde überwacht und beobachtet, hast du das vergessen? Wenn Amy und Jazz ausplaudern, was uns zugestoßen ist, und die Lorder davon erfahren, finden sie vielleicht etwas über mich heraus, das ihnen nicht gefällt.«
»Okay«, sagt Ben schließlich. »Aber versprich mir, dass du hier nie wieder allein hochgehst. Niemals. Versprochen?«
Und das tue ich.
Jazz fährt Ben nach Hause, er wohnt nur ein paar Meilen von uns entfernt in einem Einfamilienhaus mit einem großen Garten. Fahrräder lehnen an der Hausmauer und ein Hund begrüßt uns. Aber Skye ist überhaupt nicht wie Brutus, sondern ein schöner freundlicher Golden Retriever, der an uns hochspringt und mit dem Schwanz wedelt. Ben hat ihn als Welpen von seinen Eltern geschenkt bekommen, als er zu ihnen zog.
Bens Mum kommt in einem Arbeitsoverall aus der Garage. Sie ist jünger und hübscher, als ich sie mir vorgestellt habe: ungefähr Mitte dreißig, mit langen dunklen Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat.
Als Ben uns vorstellt, verraten ihre Augen, dass sie schon von mir gehört hat. »Das ist Kyla? Ich freue mich, dich kennenzulernen.« Sie führt Jazz, Amy und mich in ihr Garagenatelier, das voller glänzender Maschinen, Alteisen und Skulpturen ist. Sie beendet gerade die Arbeit an einer Eule: Metallschlaufen als Klauen, Nüsse als Augen, ineinander verzahnte Ventilatorenblätter als Federn. Bens Mutter hat aus weggeworfenen Metallteilen, die niemand mehr braucht, eine wilde
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