Gelöscht (German Edition)
Mrs Ali in ein Büro anstatt in den Speisesaal.
»Auf meinem Stundenplan steht aber doch Mittagessen«, wage ich zu protestieren.
Sie schließt die Tür.
»Kyla, hör mir mal gut zu. Deine Zukunft hängt am seidenen Faden. Wenn er reißt, droht dir ein sehr tiefer Fall.«
Ist das eine Drohung? Aber sie lächelt ihr besorgtes, sanftes Lächeln. Es passt nicht zu ihren Worten.
»Das verstehe ich nicht.«
»Kyla, ich bin hier, um dir so gut wie möglich dabei zu helfen, ein glückliches, integriertes Mitglied unserer Gesellschaft zu werden. Dazu musst du jedoch lernen, dich an Regeln zu halten. Dein Stundenplan ist eine Form von Regeln. Du hast einen Vertrag unterzeichnet, als du das Krankenhaus verlassen hast, in dem du eingewilligt hast, bestimmte Vorschriften zu befolgen: die deiner Familie, deiner Schule, deiner Gruppe und der Gemeinschaft.« Sie berührt meine Wange, und ihre Hand ist so warm wie ihre Augen, doch ihre Worte sind kalt. »Wenn du gegen die Vorschriften verstößt oder versuchst, sie zu umgehen oder sie auch nur ein wenig zu dehnen, wird das Folgen haben. So, und jetzt geh essen.«
»Guten Abend, zusammen.« Unsere Betreuerin Penny trägt wieder einen hellen Pulli, der zu ihrer Stimme passt: diesmal in Orange.
Donnerstagabend, 19 Uhr: Zeit für die Gruppe. Keine Spur von Ben oder Tori. Die anderen lächeln auf ihren Plätzen, und ich versuche, sie nachzuahmen. Nach einem weiteren Tag ist meine Lippe immer noch deutlich angeschwollen, obwohl sie nicht mehr so stark wehtut.
»Vielleicht beginnen wir damit, dass jeder ein wenig erzählt, was er gemacht hat, seit wir uns zum letzten Mal getroffen haben.«
Penny fordert ihre Schützlinge auf der anderen Seite des Raumes als Erste zu sprechen auf und wirft während der Berichte immer mal wieder einen kurzen Blick auf die Uhr. Einer hat sich im Reiten versucht, eine hat einen Sehtest gemacht, eine Dritte hat einen Hund bekommen. Wahnsinnig spannend.
Ich bin gerade an der Reihe, als die Tür hinten auffliegt und Ben – völlig durchnässt – hereinstürmt. Sein langärmeliges Shirt und die Shorts kleben an ihm und bringen seinen Körper noch besser als sonst zur Geltung.
»Tut mir wirklich leid, dass ich zu spät bin«, sagt er und schnappt sich einen Stuhl. Er schiebt ihn neben meinen, und ich versuche, ihn nicht anzustarren.
Penny tut so, als würde sie die Stirn in Falten legen, aber es funktioniert nicht ganz. »Du warst doch bei diesem Wetter nicht etwa laufen, Ben, oder?«
Er zuckt mit den Schultern. »Ist ja nur ein bisschen Wasser, ich bin nicht aus Zucker.«
»Kyla wollte uns gerade erzählen, was sie diese Woche gemacht hat.«
Alle Augen ruhen auf mir.
»Hm, ich habe Montag mit der Schule angefangen. Und seit gestern bin ich im Unterricht. Ben ist in meiner Bio-Klasse.«
Penny sieht überrascht aus. »Du bist jetzt schon im normalen Unterricht? Läuft es denn gut?«
Ich zucke mit den Schultern. »Größtenteils. Aber …« Ich unterbreche mich. Ist es wieder ein Regelverstoß, wenn ich erwähne, dass ich keinen Kunstunterricht habe?
»Was aber …?«, fragt Penny.
»Nichts. Alles in Ordnung.«
»Vergiss nicht, von Sonntag zu erzählen«, sagt Ben.
Penny sieht ihn fragend an und er legt los: »Wir haben uns auf der Thame Show getroffen.« Dann beschreibt er ausführlich die Schaf-Show, bis alle kichern. Es ist aber auch sehr lustig gewesen, selbst Tori hat über die dummen Namen der Tiere gelacht und darüber, wie die Schafe auf der Bühne präsentiert wurden.
»Moment mal«, sage ich. »Wo ist denn eigentlich Tori?«
Ben sieht mich an, dann wieder Penny, mit einem großen Fragezeichen im Gesicht.
»Tori ist nicht mehr in unserer Gruppe«, sagt Penny knapp und geht weiter zum Nächsten in der Runde, der gelernt hat, wie man Schokokekse backt. Er präsentiert stolz seine Schachtel mit dem Gebäck, und die Unterhaltung verstummt, während sie herumgeht.
Ben mampft eine Handvoll Kekse und Krümel bleiben auf seinem nassen T-Shirt kleben. Ich widerstehe dem Drang, sie wegzuwischen.
»Ben«, flüstere ich, »warum ist Tori nicht mehr in unserer Gruppe? Hat sie es dir erzählt? Warum war sie diese Woche nicht in der Schule?«
Er zuckt mit den Schultern. »Sie hat nichts gesagt. Ich weiß es nicht.«
»Machst du dir keine Sorgen? Womöglich ist ihr etwas passiert.«
Er überlegt kurz. »Vielleicht hat sie Grippe oder so was. Ich hab, um ehrlich zu sein, nicht darüber nachgedacht.« Aber an seinem Gesicht sehe ich, dass er
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