Gelöscht (German Edition)
Hand. »Sir? Ich glaube, unsere neue Schülerin rastet gleich aus.«
Die anderen kichern und starren. So viele Augen, überall sind Augen.
3,9 …
Ich schließe die Lider.
Grüne Bäume, blauer Himmel, weiße Wolken, grüne Bäume, blauer Himmel, weiße Wolken …
Schwere Schritte nähern sich und ich spüre eine Hand auf meiner Schulter. »Alles in Ordnung, Kyla?«, fragt Mr Goodman.
Grüne Bäume, blauer Himmel, weiße Wolken, grüne Bäume, blauer Himmel, weiße Wolken …
Ich öffne die Augen. »Ja.«
»Sehr gut. Schreib bitte dein Treue-Gelöbnis von der Tafel ab.«
Ich schlage mein Heft auf.
Die letzte Stunde des Vormittags bringt eine angenehme Überraschung mit sich: Ben ist in meiner Bio-Klasse.
Er winkt, als ich mich an der Tür einlogge, flüstert mit ein paar anderen Jungs, die ein wenig murren, aber dann aufrutschen und einen Platz neben ihm frei machen.
»Wie geht’s?«
Ich zucke mit den Schultern und sage nichts, aber es muss mir ins Gesicht geschrieben stehen.
»Es wird besser«, sagt er ernst. »Wirklich. Mein erster Tag hier war auch echt übel.«
Ich starre Ben an und wundere mich. Manchmal wirkt er wie jeder andere Slater mit leerem Kopf und einem Idiotenlächeln auf den Lippen. Aber ich kann sehen, dass Ben auch eigene Gedanken hat. Vielleicht, wirklich nur vielleicht, bin ich doch nicht so anders als die anderen. Oder womöglich liegt es auch nur an Ben, der mir das Gefühl gibt, dass ich hier nicht ganz allein bin.
Er verzieht das Gesicht. »Nicht vergessen: auf keinen Fall lächeln. Tut weh.«
»Oh ja, klar.« Ich verscheuche ein aufsteigendes Grinsen und lächle ihn stattdessen mit den Augen an.
Unsere Bio-Lehrerin, Miss Fern, ist ein bisschen durchgeknallt, aber lustig. Wir sollen uns überlegen, welcher Vogel wir am liebsten wären, und dann alle Infos zu seiner Art in Büchern und auf Webseiten nachschlagen, um ihn schließlich zu zeichnen.
Zu Beginn blättere ich durch ein Buch und habe keine Ahnung, welchen Vogel ich nehmen soll. Bis ich schwarze Augen sehe, weiße Federn und ein feierliches, herzförmiges Gesicht, das so flach ist, dass es wie eine Maske mit dunklen Augenschlitzen wirkt.
Die Perleule
. Irgendetwas an dem Vogel sagt mir:
Das bin ich.
Schnell verzichte ich auf die taxonomischen Beschreibungen und Essgewohnheiten und beginne mit der Zeichnung. Anfangs skizziere ich meine Eule in verschiedenen Positionen, dann im Flug mit weit ausgebreiteten Flügeln. Völlig vertieft ins Zeichnen, fällt mir gerade noch rechtzeitig ein, dass ich nicht meine linke Hand benutzen darf. Mit der rechten Hand fällt mir das Zeichnen zwar schwerer, aber es macht trotzdem noch Spaß.
Miss Fern steht hinter mir und blickt mir über die Schulter. »Kyla, das ist ja fantastisch! Du bist wirklich begabt.«
Andere Schüler scharen sich um mich und loben mich ebenfalls. Diese Klasse hat wohl kein so großes Problem damit, dass ich hier bin. Vielleicht weil sie vorher schon Ben kennengelernt haben. Er zieht die Blicke der Mädchen auf sich und scheint sich schnell mit den Jungs anzufreunden. Er ist einfach einer von ihnen – sie akzeptieren ihn, also akzeptieren sie auch mich. Wie bekommt er das bloß hin?
Es läutet. Ich kann durch das Fenster in der Tür erkennen, dass Mrs Ali im Flur auf mich wartet.
»Kommst du mit zum Essen?«, fragt Ben.
Ich lächle. »Gern, gib mir eine Minute.« Ich lasse mir Zeit, um meine Sachen zu packen. Ben schaut mich fragend an. Soll ich mich trauen? Ich gehe zum Pult der Lehrerin.
»Miss Fern? Ich hab mich gefragt … Ich meine, ich hoffe, vielleicht können Sie mir helfen …«
»Worum geht’s denn, Kyla? Raus mit der Sprache.«
»Ich möchte in den Kunstunterricht, aber sie lassen mich nicht. Mir wurde gesagt, ich darf kein Wahlfach belegen.«
»Wirklich? Na ja, ich schaue mal, was ich machen kann«, sagt sie. »Leihst du mir das aus?« Sie zeigt auf meine Eulen-Zeichnung und ich reiche sie ihr.
Ich drehe mich um und erschrecke. Mrs Ali steht direkt hinter mir, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Ich habe nicht bemerkt, dass sie hereingekommen ist. Ich habe nicht mal die Tür gehört.
»Kann ich mit Ben zum Essen gehen?«, erkundige ich mich.
»Nein. Im Stundenplan steht, dass du deine Mittagspause in der Unit verbringst, und daran musst du dich halten.« Sie wendet sich an Ben, der immer noch an der Tür wartet.
»Tut mir leid, Ben. Kyla muss jetzt zur Unit.«
Er winkt und ist verschwunden.
In der Unit führt mich
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