Gelöscht (German Edition)
hatte, schwebte ich in einem geistigen Niemandsland. Der Schock hatte mein Levo-Level mit Verzögerung sinken lassen – das nahmen zumindest die Schwestern an. Sie konnten mir gerade noch eine Spritze geben, bevor ich ohnmächtig wurde. Weil ich ruhiggestellt worden war, wollten sie mich nicht gehen lassen, ohne eine Komplettuntersuchung und Scans meines Gehirns vorzunehmen.
Mum sagte, sie hätte irgendwelche Fäden gezogen. Ein paar wichtige Freunde in höheren Stellen angerufen, damit sie mich mit nach Hause nehmen konnte. Alle in der Klinik waren anscheinend so unter Strom, dass sie schließlich einwilligten und mich entließen.
Nach Hause.
Ich nicke im Auto ein und stelle mich nach dem Aufwachen schlafend. Die Wirkung der Spritze klingt ab. Langsam fallen mir die Ereignisse wieder ein – in Bruchstücken zuerst, dann alles auf einmal.
Ich kann nicht glauben, dass die Terroristen es ins Krankenhaus geschafft haben – ganz zu schweigen davon, was sie dort anrichten konnten, bevor sie gestoppt wurden: Sie haben Menschen getötet.
Vergeude keine Kugeln.
Wenn sie mehr Munition gehabt hätten, wäre ich jetzt vielleicht auch tot. Das ganze Blut. Die Schwester, an deren Gesicht ich mich nicht erinnere …
Ich zwinge meine Gedanken weg von ihr und bin wieder in Dr. Lysanders Büro. Ihr Computer sagte:
Gremium stimmt für Abbruch, Dr. Lysander lehnt ab.
Was bedeutet das?
Und am seltsamsten ist: Trotz allem blieb mein Levo-Wert die ganze Zeit im grünen Bereich. Das ergibt einfach keinen Sinn.
Erst als ich Phoebe gesehen habe, kippte alles.
Mum zeigt Nerven wie Drahtseile, bis wir zu Hause angekommen sind, dann bricht sie zusammen. Sie rollt sich auf dem Sofa wie ein Baby zusammen und heult hemmungslos.
»Was sollen wir machen?«, frage ich.
»Dad anrufen«, schlägt Amy vor. Mum schüttelt vom Sofa aus abwehrend den Kopf.
»Wie wär’s mit Tante Stacey?« Das scheint für Mum in Ordnung zu sein, also ruft Amy sie an, damit sie vorbeikommt.
Stacey kann einen Teil der Geschichte aus Mum herausbekommen. Ich selbst habe ihr nichts Genaueres erzählt – und auch sonst niemandem: Dass mich zwei der Terroristen in Dr. Lysanders Büro gefunden haben und dass mich einer der beiden beinahe erschossen hätte, behalte ich für mich. Auch die tote Krankenschwester habe ich mit keinem Wort erwähnt. Amy ist völlig fasziniert von Mums Bericht und will auch von mir jedes Detail wissen – doch damit bewirkt sie nur, dass ich umso beharrlicher schweige.
Am Abend wird der Angriff in den Nachrichten erwähnt – ganze fünf Sekunden lang:
Heute haben bewaffnete RT versucht, einen brutalen Anschlag auf das Personal eines der führenden Londoner Krankenhäuser zu verüben. Die Tat misslang.
Das sollten sie mal der Krankenschwester sagen, die in ihrem eigenen Blut gestorben ist.
»Da hast du ja gestern ein ganz schönes Abenteuer erlebt«, sagt Dad, während er mit einem Auge auf die Straße achtet und mit dem anderen auf mich.
»Ja, scheint so.«
»Hattest du Angst?«
»Ja.«
»Gut.«
Ich sehe ihn überrascht an. »Du müsstest vollkommen verrückt sein, wenn du dich in dieser Situation nicht gefürchtet hättest«, meint er. »Konntest du trotzdem gut schlafen?«
»Ja.«
»Keine Albträume?«
»Nein.« Ich hatte zwar Angst, meine Augen zu schließen, aber falls ich geträumt habe, kann ich mich an nichts mehr erinnern.
»Interessant. Da passiert tatsächlich mal etwas, vor dem man Angst haben könnte, und du schläfst wie ein Baby.« Er sieht fasziniert aus, als wäre ich ein Rätsel, das er zu lösen versucht. Ich habe das Gefühl, es gefällt ihm gar nicht, wenn er Menschen und Situationen nicht versteht.
»Vielleicht hat die Spritze aus dem Krankenhaus noch gewirkt«, schlage ich vor.
»Vielleicht«, sagt er, aber ich habe das Gefühl, dass er weiß, dass die Wirkung des Happy Juice nicht so lang anhält. »Was empfindest du im Hinblick auf die Terroristen?«
Kann er irgendwoher wissen, dass ich zwei von ihnen gesehen habe, dass sie mir direkt gegenüberstanden? Nein. Wie auch? Dad konzentriert sich jetzt voll auf die kurvenreiche, enge Straße.
»Nun?«
Was fühle ich gegenüber den Terroristen … Ich konnte nicht aufhören, an sie zu denken. Sie haben vor sechs Jahren einen Bus voller Schüler in die Luft gesprengt und gestern eine Krankenschwester getötet … »Sie sind böse«, sage ich.
»Manche denken, dass sie nicht ganz unrecht haben. Dass die Lorder zu weit gehen, dass sie die eigentlich
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