Gelöscht (German Edition)
schaltet sich mein Selbsterhaltungstrieb ein und lässt mich aufstehen. Ich schließe alle offenen Fenster auf dem Bildschirm und spähe dann vorsichtig zur Tür hinaus. Der Flur ist leer, doch es kommen Schreie aus der Richtung, in die die beiden Männer gerannt sind. Ich laufe in die andere Richtung.
Die Lichter flackern ein paar Mal und gehen dann aus. Jetzt ist es stockdunkel. Ich reiße meine Augen auf, doch ich kann in dem fensterlosen Flur trotzdem nichts erkennen. Ich möchte schreien, aber eine innere Stimme warnt mich:
Beruhige dich; du kennst den Weg – denk nach!
Ich atme langsam und tief ein und versuche mit aller Macht, mir den Krankenhausplan in Erinnerung zu rufen. 8. Stock.
Geh zur Schwesternstation,
hat Dr. Lysander gesagt.
Mit einer Hand an der Wand und sehr vorsichtigen Schritten, um kein Geräusch zu machen, tapse ich bis zum Ende des Flurs. Doppeltür, links abbiegen: Sie haben Ihr Ziel erreicht.
Alles ist still. Ich laufe mit ausgestreckten Händen vorwärts, um die Kante des Schreibtisches zu finden, aber ich rutsche auf etwas aus und falle hin.
Der Boden ist nass. Klebrig. Ein seltsamer, metallischer Geruch hängt in der Luft, steigt meine Kehle hinauf und lässt mich würgen.
Blut.
Ich weiche blind auf Händen und Füßen zurück und stoße an etwas – nein, jemanden – auf dem Boden: eine Hand, ein Arm. Ein Mensch, eine Frau in Schwesternkleidung. Kein Geräusch, keine Bewegung, eine große klebrige Pfütze … Ich zwinge mich, ihrem Arm bis zum Hals zu folgen. Sie ist noch warm, aber ziemlich sicher tot. Dieser letzte Schrei, den ich gehört habe, ehe die beiden Männer mit der Waffe kamen – sie haben sie erschossen. Es muss so gewesen sein.
Tot.
Ich rapple mich wieder auf und renne, ohne etwas zu sehen, zurück in den dunklen Flur.
Stopp – viel zu laut! Versteck dich.
Ein Instinkt zwingt mich, langsamer zu werden und vorsichtig weiterzulaufen. Ich versuche, mich zu erinnern, ob mir die Schwester vorhin am Empfang aufgefallen ist, als ich aus dem Lift gestiegen bin. Ich bin direkt an ihr vorbeigegangen, aber ich weiß nicht mehr, wie sie aussah. Wenn ich sie gekannt hätte, könnte ich mich sicherlich erinnern. Aber ich war abgelenkt, weil ich mich von Mum verabschiedet habe und dann …
Mum! Sie hat sich mit einer Freundin zum Kaffeetrinken verabredet, wie letztes Mal. Wo sind sie hingegangen? Ich weiß es nicht! Mum, wo bist du?
Kontrolle behalten. Ruhig bleiben. JETZT.
Ich atme ein und aus, bis mein Herzschlag langsamer wird und die Panik nachlässt.
Bleib stehen und lausche.
Aber ich kann nichts hören, keinen Mucks. Das Krankenhaus ist so gespenstisch still wie noch nie zuvor.
Meine Füße tragen mich zum Treppenhaus mit dem Notausgang und führen mich automatisch zu dem Ort, den ich am besten kenne: den 10. Stock. Mein altes Zimmer.
Vorsichtig und leise steige ich, mit einer Hand an der Wand, eine Stufe nach der anderen hoch. Immer wieder halte ich an, um auf Geräusche zu lauschen, aber ich höre nichts.
Schließlich erreiche ich die Tür zur 10. Etage und habe plötzlich Angst, dass sie verschlossen sein könnte. Doch sie lässt sich öffnen.
Ich trete durch die Tür in den Flur. Hier brennt trübe Notfallbeleuchtung. Stimmen sind zu hören und Menschen bewegen sich durch die Etage. Niemand schreit oder ruft nach Hilfe.
Ein Licht leuchtet mir ins Gesicht.
»Ist das Kyla? Ja, das ist sie!« Das Licht wird gesenkt und ich erkenne Schwester Sally – eine der Schwestern, die auf meiner Abteilung gearbeitet haben, als ich hier war. Ich bin unglaublich froh, ein Gesicht zu sehen, das ich kenne. Ich lächle und Schwester Sally legt ihre Hand auf meine Schulter.
»Du
bist
es. Oh, Liebling, du bist heute zur Kontrolle hier, oder? Komm mit. Wir müssen alle in die Cafeteria. Kannst du uns mit ein paar Neuzugängen helfen? Sie sind völlig verwirrt.«
Sie gibt mir zwei Slater an die Hand. Sie sind noch unsicher auf den Beinen, aber sie tragen ihr großes, glückseliges Lächeln im Gesicht, als wäre das der großartigste Tag ihres Lebens.
Schwester Sally schiebt einen Rollstuhl vor sich her: eine ganz neue Patientin, die noch nicht laufen kann.
Wir gehen den Flur hinab, der sich bereits mit Schwestern und Patienten füllt.
»Schnell!« Eine ungeduldige Stimme drängt von hinten. Einer von mehreren Lordern, die uns vorwärtsscheuchen.
Unser Ziel ist die Cafeteria im 10. Stock – der einzige Ort, an dem alle Platz haben. Sie schieben die Letzten von uns hinein
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