Gemeingefährlich: Eine Erzählung aus der Weltraumserie Lucy (German Edition)
noch ein zweites kleines Problem.
Buchstäblich jede freie Minute hatte er mit Nerinia verbracht, seit er sie kannte. Gemeinsam hatten sie alles ausprobiert, was zwei liebenden Jugendlichen einfällt. Für ihn waren diese Stunden die schönsten seines Lebens. Er wusste aber nicht, ob die Art, wie sie ihre Zärtlichkeiten austauschten, Nerinia genauso viel Spaß machte. Im Gegensatz zu ihm hielt sie sich in allen Dingen, die ihre eigenen Gefühle und Wünsche betrafen, zurück. Und Gurian wusste einfach nicht, was sich ein Mädchen wirklich wünschte, dass er es tat.
Imperianische Jugendliche wurden normalerweise von ihren erwachsenen Lebenspartnern in die Geheimnisse der Liebe eingeführt. Es gab dafür klare Regeln. Eine davon lautete, dass der Jugendliche seine Partnerin oder seinen Partner aussuchte.
Früher hatte Gurian immer davon geträumt, dass Rinata diejenige sein sollte, wenn er erst einmal alt genug war. Damals hatte er sie mehr geliebt als irgendeinen anderen Menschen. Das war allerdings noch, bevor sie ihn verriet, indem sie ihn auf diesen elendigen Planeten verschleppte und sich nicht mehr um ihn kümmerte. Heute dachte er nur noch mit Abscheu an die Gefühle seiner Kindheit.
Natürlich hatten alle Mitglieder der Lebensgemeinschaft sich angeboten, ihn einzuführen. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte er es nicht gewollt. Keinen von ihnen mochte er so nah an sich heranlassen, wie es zu diesem Zweck notwendig war. Gerade in den imperianischen Freundschaftsbeziehungen spielte die Liebe die zentrale Rolle. Niemand, jedenfalls kein gesunder Mensch, konnte sich in dieser Gesellschaft vorstellen, sich einem anderen Menschen hinzugeben, den er nicht liebte. Und genau da lag für Gurian das Problem.
Aber diesmal ging es um mehr. Er brauchte dieses Tarngerät, noch diese Nacht.
***
»Was ist mit dir? Du willst doch jetzt nicht gehen? Habe ich etwas falsch gemacht?« Syligan sah ihn ernsthaft besorgt, ja betroffen, an.
Gurian wäre gerne den Rest der Nacht bei ihr geblieben. Noch nie hatte er sich einem Menschen aus seiner Lebensgemeinschaft so nah gefühlt. Syligans Einführungen waren von Zärtlichkeit und Einfühlsamkeit geprägt gewesen, die Gurian so bisher nicht kannte. Keine Frage, in Zukunft wollte er sich auf Syligan und die anderen einlassen, wenn er die vier Lebensgefährten erst überzeugt hätte, wenn sie Nerinia als vollwertigen Menschen anerkannten und sie in die Gemeinschaft aufnahmen. Er würde es schaffen, er brauchte nur noch ein wenig Zeit. Alles würde sich zum Guten wenden.
Daher tat es ihm aufrichtig leid, Syligan verlassen zu müssen, aber er musste etwas Dringendes erledigen. Von dem Gelingen hing schließlich die gesamte Zukunft ab, auch die gemeinsame.
»Es war wirklich schön. Und ich würde mich freuen, wenn ich …, wenn ich wieder kommen dürfte«, sagte er schüchtern. »Aber ich bin seit Langem das erste Mal so nah bei einem anderen Menschen gewesen. Ich brauche jetzt ein bisschen Abstand.«
Gurian stand schon vor dem Bett und kleidete sich an. Syligan betrachtete ihn kopfschüttelnd.
»Du kannst so lieb und zärtlich sein, wie heute Abend. Aber manchmal bist du wirklich komisch«, meinte sie. »Das nächste Mal bleibst du gefälligst länger. Du bist nicht der Einzige, der Gefühle hat. Das zu lernen, gehört zur Freundschaft auch dazu.«
Gurian nickte schuldbewusst. Er brauchte es nicht zu spielen. Er empfand es tatsächlich so.
»Ich verspreche es! Du bist mir doch nicht böse?«
Syligan lächelte kopfschüttelnd. Sie winkte ihm mit dem Zeigefinger zu sich und drückte ihm einen Kuss auf den Mund.
»Schlaf gut. Das nächste Mal übernachtest du hier, verstanden?«
Gurian trottete hinaus. Er wusste, dass sie ihn für komisch hielten. War er vielleicht auch. Aber diesmal hatte sein Verhalten einen konkreten Grund.
Als er auf dem Flur stand, lauschte er in die Dunkelheit. Aus den Zimmern seiner Mitbewohner drang kein Geräusch. Im ganzen Haus schien kein Licht. Er wartete noch einige Minuten, aber auch Syligan musste gleich eingeschlafen zu sein, nachdem er sie verlassen hatte.
Leise schlich er aus dem Haus. In dieser Nacht patrouillierten noch mehr Soldaten als in den Tagen davor. Gurian bewegte sich im Schatten der Häuser. Immer wieder musste er sich verstecken, weil ein Trupp seinen Weg kreuzte.
Manchmal gingen sie zu Fuß, häufiger saßen sie in Laufrobotern: Maschinen, die sich auf vier Beinen bewegten und entfernt an Tiere erinnerten. In ihrem
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