Gemeinsam gegen Krebs: Naturheilkunde und Onkologie - Zwei Ärzte für eine menschliche Medizin (German Edition)
Akupunktur: ein Rückblick
Eine der Theorien zur Entstehung der Akupunktur weist auf einen schamanischen Hintergrund hin: Konnten die Götter und Geister, die den Körper krank machten, nicht vertrieben werden, versuchte man in vielen antiken Kulturen, Schmerzen und Schwellungen mit Hitze oder spitzen Steinlanzetten auszutreiben.
Die chinesische Vorstellung, dabei auf die Kraft »Qi« einzuwirken, entwickelte sich historisch in mehreren Schritten: Zuerst zielte die Stimulation auf nicht näher definierte »Gefäße«, die den Körper überzogen, ohne in eindeutiger Weise miteinander verbunden zu sein. Später kam das Konzept der Meridiane.
Die erste anatomische Figur, die die Lage der Akupunkturpunkte demonstrieren sollte, stammt aus dem 11. Jahrhundert. Rund 500 Jahre später erschien der letzte Klassiker der Akupunkturlehre: das »Große Kompendium der Akupunktur und Moxibustion« (Zhenjiu Da Cheng), das auch eigene empirische Beobachtungen der Nadelung enthielt. Schon im 18. Jahrhundert wurde in China kritisiert, dass wichtige traditionelle Akupunkturtechniken verloren gegangen seien und die moderne Entwicklung in Richtung einer Art »Kochbuchakupunktur« verlaufe, anstatt sich systemisch an den Leitbahnen zu orientieren.
In China hatte Mao nach einer Phase der wissenschaftlichen Modernisierung der traditionellen Heilkunde wieder Platz eingeräumt, um die katastrophale Volksgesundheit vor allem auf dem Land zu verbessern. 1954 wurde in Nanjing das erste Krankenhaus der Traditionellen Chinesischen Medizin eröffnet. Ein Jahr später wurden das Forschungsinstitut für chinesische Medizin und 1956 eine Akademie für chinesische Medizin in Beijing gegründet. Ihre Aufgabe bestand zunächst darin, einen standardisier- und lehrbaren Kanon des heilkundlichen Wissens festzulegen.
Die moderne Version der antiken Heilkunde wurde »Traditionelle Chinesische Medizin« getauft, ein Begriff, der keine Entsprechung im Chinesischen besitzt.
Im Rahmen der »Begradigung« der chinesischen Medizin wurde das Konzept der Akupunkturpunkte weiter vereinfacht und ihre Lage auf moderne anatomische Strukturen projiziert. Gleichzeitig fiel der Teil der Regulation des Qi weg, den man aus westlicher Sicht als salutogenetisch bezeichnen würde: Atem- und Bewegungstechniken, Sexual- und Schlafempfehlungen. Die Stärkung der individuellen Kraft war zu Zeiten der maoistischen Gleichschaltung, in der nur die Masse zählte, nicht geschätzt.
Gleichzeitig ebnete die Verwestlichung der Akupunktur neuen Forschungskonzepten den Weg, die zu modernen Weiterentwicklungen der alten Lehren führten – wie etwa der Akupunkturanalgesie (Betäubung) oder den »MAPS« (MikroAkuPunkturSysteme), der Projektion innerer Körperstrukturen auf definierte Punkte in der Peripherie, etwa in der Ohr- oder Schädelakupunktur. Letztere wurde im modernen China, die Ohrakupunktur hingegen in Frankreich von Paul Nogier (1908-1996) entwickelt.
Nach traditioneller chinesischer Vorstellung geht es bei der Akupunktur darum, auf die Lebenskraft Qi einzuwirken. Die Leitbahnen des Qi entsprechen zwölf Meridianen.
Bis heute in der Diskussion: die Wirkmechanismen
Diese Debatte um das Wesen des Qi und die »Punktgenauigkeit« reicht bis in unsere Zeit. Seit Anfang der 70er-Jahre sind weltweit über 500 randomisiert kontrollierte Studien publiziert worden, die die Wirksamkeit von Akupunktur untersuchten. Mehr als die Hälfte davon waren plazebokontrollierte Studien. Außerdem wurden seither über 45 systematische Reviews und Metaanalysen veröffentlicht. Die Ergebnisse zeigen zwar eine allgemeine Wirksamkeit, aber sie geben keine Erklärung für die Wirkmechanismen der Akupunktur. Im Jahr 2000 empfahl deshalb der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (ab 2004 Gemeinsamer Bundesausschuss, G-BA), die Wirksamkeit der Akupunktur zu untersuchen, modellhaft bei den Indikationen Migräne, chronische Kopf-, Lendenwirbelsäulen- und Osteoarthroseschmerzen. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wurde ein bestimmtes Therapieverfahren auf Kosten der Krankenkassen gezielt erprobt. Das Ergebnis: Akupunktur wirkt, doch die Wirkmechanismen bleiben unklar. Die Akupunkturpunkte, so zeigten die Studien, scheinen jedenfalls nicht zentral für die Wirkung zu sein, da auch eine Akupunktur an »falschen« Stellen häufig wirkt. Es muss andere Erklärungen geben.
Möglicherweise führt die Nadelung zur Freisetzung von Endorphinen und anderen Neurotransmittern im Zentralnervensystem.
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